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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Allein dafür wird uns der Herrgott die Pestilenz an den Hals schicken!»
    Clara fuhr ein eisiger Schauer über den Rücken. Endlich hatten sie eine Lücke gefunden, durch die sie in eine der Seitengassen vorstoßen konnten. Von dort nahmen sie den nächstbesten Weg nach Hause.
    Warum nur hatte dieser schöne Nachmittag eine derart böse Wendung nehmen müssen, fragte sie sich jetzt im Dunkel ihrer Schlafkammer und zog sich die Decke bis zum Hals. Und dazu auch noch das mit Benedikt. Sie war außer sich gewesen, als er am Abend nach Hause gekommen war: «Du bist zusammen mit Esther auf dem Markt gesehen worden! Ein anständiges Mädchen in ihrem Alter geht mit ihrer Familie aus und nicht allein mit einem Kerl.»
    «Du weißt genau, dass die Juden sich bei Prozessionen und Jahrmärkten nicht hinaustrauen», hatte er mehr erstaunt denn verärgert erwidert.
    «Ach ja? Und darum schlendert Esther mit dir herum? Womöglich Hand in Hand? Das ist ja noch schlimmer!»
    Daraufhin war er zur Tür gelaufen, hatte ihr entgegengeschleudert: «Was bin ich froh, wenn ich meinen Meistertitel hab und endlich meine eigene Wohnstatt!», und war in der Dunkelheit verschwunden. Sie ahnte, dass er in den Schlafstuben der Werkleute übernachten würde.
    Gleich morgen wollte sie dem Ganzen ein Ende setzen. Sie liebte ihren Sohn über alles auf der Welt, und Esther war nicht nur schön, sondern auch höflich und klug. Aber ein Christenmann und ein Judenmädchen gingen so wenig zusammen wie eine Hündin mit einem Kater! Nicht auszudenken, wenn die beiden bereits beieinandergelegen hatten! Die jungen Leute waren doch alle gleich in ihrer Unbedarftheit, zumal wenn Liebe und Leidenschaft ihnen die Vernunft vernebelten. Oder wenn sie sich gar auf diese zweifelhaften Methoden verließen. Damit war sie selbst oft genug guter Hoffnung geworden und hatte letztendlich neun Kinder ausgetragen, auch wenn nur vier die Stillzeit überlebt hatten. Plötzlich erinnerte sie sich wieder, wie Benedikt entstanden war. Es war noch vor ihrer Verheiratung gewesen, und Clara hatte den Rat einer älteren Freundin angenommen: Die Frau müsse sich nach dem Erguss des Mannes sofort erheben, herzhaft gähnen, mehrmals durch die Nase schnauben und mit lauter Stimme eine bestimmte Zauberformel rufen. Damit würde der Same wieder aus dem Uterus getrieben. Bei Clara hatte diese Prozedur dazu geführt, dass sie neun Monate später von einem strammen, gesunden Jungen entbunden wurde.
    Sie griff nach Heinrichs Hand, der reglos neben ihr auf dem Rücken lag, mit einer Packung Johanniskraut auf dem Auge gegen die Schwellung. «Tut es noch sehr weh?»
    «Es gibt Schlimmeres.»
    «Morgen gehe ich zu den Grünbaums. Das geht so nicht mehr mit den beiden. Hast ja gehört, wie hier manche gegen die Juden hetzen.»
    «Tu das, Clara. Das ist vernünftig. Und nun lass uns schlafen.»
    Doch sein Atem und seine unruhigen Gliedmaßen verrieten ihr, dass er nicht einschlafen konnte.
    «Woran denkst du, Mann?»
    «Es macht mir Sorgen, das mit der Seuche in den südlichen Ländern. Weißt du von der justinianischen Pestilenz? Vor vielen hundert Jahren? In den Ländern rund um das Mittelländische Meer, bis herauf zu uns, hatte das große Sterben gewütet und die halbe Menschheit ausgerottet. Weder Gebet noch Arzney hatten etwas ausrichten können, weder Arm noch Reich blieben verschont. – Gebe Gott, dass sich das nicht wiederholt.»
    Sie spürte, wie seine Hand ihre Hand fest umschloss. Dann drehte er sich zu ihr hin, nahm sie in die Arme, und sie liebten sich nach vielen Wochen zum ersten Mal – nicht in überbordender Leidenschaft, sondern zärtlich und in der Vertrautheit zweier Menschen, die in langen Jahren zu einer unauflöslichen Einheit zusammengewachsen waren.

Kapitel 6
    G laub mir, liebe Nachbarin, ich nehm das sehr ernst, was du uns hier offenbarst. Oi, oi, oi, was für ein Schlamassel!»
    Moische Grünbaum, gewandet in Seidenkaftan, bestickte Pantoffeln und eine Art Turban, strich sich über seinen langen, schlohweißen Bart.
    «Wenngleich ich zugeben muss, dass ich der Freundschaft zwischen unsern beiden Kinderchen niemals eine solche Bedeutung beigemessen hab. Bin halt doch zu viel unterwegs und auf Reisen. Was meinst du zu alldem, Frau?»
    Clara, Moische und Deborah saßen bei weitgeöffneten Fenstern in der guten Stube der Grünbaums. Die beiden Kleinen hatten sie zum Spielen in den Garten geschickt, Esther arbeitete in der Küche.
    «Das weißt du genau», fauchte Deborah

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