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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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biss sich auf die Lippen. Wenn sie jetzt einen Streit vom Zaun brach, würde es Mechthild ausbaden müssen. Und auf welche Weise, konnte sie sichdenken. Dass manche Männer ihre Eheweiber prügelten, nach dem Leitsatz: «Frau und Hund kannst schlagen ohne Grund», das wusste sie, aber sie hätte nie gedacht, dass auch der vornehme Handelsmann Gottfried Tucher zu dieser Sorte gehörte.
    «Schade», sagte sie deshalb nur.
    «Und im Übrigen», Tucher verzog verächtlich das Gesicht, «solltest besser auf deinen Ältesten achthaben. Nicht nur, dass er meinen Jungen hinterrücks niedergeschlagen hat – er tändelt auch vor aller Welt mit diesem Judenmädchen herum. Hier auf dem Jahrmarkt. Deine Familie sollt sich was schämen.»
    Rasch drückte Clara Mechthilds Hand. «Gott schütze dich, meine Liebe», flüsterte sie ihr zu und kehrte zurück zu ihrem Mann. Der Tag war ihr verdorben.
    «Was ist mit dir?», fragte Heinrich besorgt.
    Sie schüttelte nur den Kopf. «Nichts. Lass uns nach Hause gehen.»
     
    Als sie an diesem Abend zu Bett gingen, waren sie beide in gedrückter Stimmung. Auch Heinrich. Zuerst war er auf dem Heimweg mit einem dieser fahrenden Scharlatane in Händel geraten. Auf einer grellbunten Reklametafel hatte der sich, in Wort und Bild, als weithin besten Starstecher, Zahnreißer, Salben- und Liebestrankkrämer, Stein- und Bruchschneider gepriesen. Clara hatte Heinrich nicht daran hindern können, dem Mann bei seiner Behandlung argwöhnisch auf die Finger zu schauen – zumal es sich bei dem Kranken um einen Bekannten handelte, den alten Klingenschleifer Marx, der lauthals über seine starken Kopfschmerzen geklagt hatte. Daraufhin war ihm der Wanderheiler einige Male mit dem Finger über die Stirn gefahren, hatte ein Messerchen zur Hand genommen und damit zu einem kleinen Schnitt am Haaransatz angesetzt.
    «Aha», hatte er triumphierend in die Menge gerufen. «Da haben wir ja die causa malefica. Ein Nägelchen.» Hatte die Ursache des Übels herumgehen lassen und die Hand zu seinem Lohn ausgestreckt. Da war Heinrich schon neben ihn getreten und hatte ihm in die aufgenähte Brusttasche gefasst.
    «Hier hast du das Zeug schon mal auf Vorrat, du betrügerischer Winkelheiler.» Er zog ihm eine Handvoll kleiner Nägel und Steinchen aus der Brusttasche. «Ein Schnitt mit dem Messer, ein Griff mit der andern Hand in die Tasche – so bescheißt du diese gutgläubigen Leut.» Als Heinrich auch noch anhob, dem Publikum einen Vortrag über falsche Heiler zu halten, die einem nur das Geld aus der Tasche zögen, hatte der Fremde ihm einen Faustschlag aufs Auge versetzt; das wiederum hatte umgehend zu einem allseitigen Handgemenge geführt, dem erst drei Marktbüttel mit ihren Stöcken ein Ende setzen konnten.
    Vor dem Reichen Spital dann waren sie von einem Menschenauflauf am Weitergehen gehindert worden. Ein Wanderprediger in dunkler Kutte hatte sich auf der Freitreppe zur Spitalskapelle aufgebaut und den Menschen von der Zeit der großen Sterbensläufe entgegengeschrien. Mit seinem hohlwangigen, bleichen Gesicht unter der Kapuze sah er selbst aus wie Gevatter Tod.
    «So höret, meine Brüder und Schwestern, so höret mir zu! Erdbeben, Hunger und Seuchen werden uns heimsuchen, ganz wie uns das Evangelium prophezeit. Als grauenvolle Prüfungen und Plagen, als Vorboten des Antichrist. Italiens Küsten haben die Plagen schon erreicht, allerorten stranden dort Geisterschiffe mit eklig entstellten Leichnamen, es stinkt nach Fäulnis und Tod bis zum Himmel. Ihr glaubt, das geht uns nichts an?» Die Stimme wurde schrill. «Ihr glaubt, das ist weit weg? Ha! Ichkomme von jenseits des Alpengebirges, schon hat die Pestilenz die stolzen Städte Venedig, Florenz und Genua erreicht und wird sie gänzlich vernichten! Allein in Florenz gibt es schon mehr Tote zu beklagen, als Basel, Straßburg und Freiburg Bewohner haben. Und über die Hafenstädte frisst sich die tödliche Seuche hinein ins Frankreichische und Hispanische und wird auch uns nicht verschonen. So höret, ihr meine Brüder und Schwestern: Kehret um auf euren sündigen Wegen und wappnet euch für das Weltenende. Ich sage euch fürwahr, der Antichrist wird kommen, wird drei und ein halbes Jahr über uns herrschen. Danach aber dürft ihr, die ihr Buße tut, das gerechte Reich Gottes erwarten.»
    «Der Antichrist ist der Jud!», brüllte einer neben Clara los. «Er lästert gegen Gott.» Ein andrer: «Genau! Und wir dulden die Christusmörder auch noch in unsrer Stadt!

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