Der Pestengel von Freiburg
und drapierte sich sorgfältig ihr Tuch um das dichte hellbraune Haar. «Seit zwei Jahren predige ich dir, dass Esther verheiratet gehört. Jetzt ist sie bald achtzehn und glaubt immer noch, sie könne tun und lassen, was sie will. Hättest längst Tachles reden sollen mit ihr.»
«Ich gehör halt nicht zu den Vätern, die die Kinder in eine unglückliche Ehe zwingen», erwiderte Moische sanft. «Die Mischna sagt: Ein Vater darf seine Tochter nicht verheiraten, solange sie klein ist, sondern erst, wenn sie groß ist und verkündet: Diesen Mann will ich.»
«Was für ein Schmonzes! Jetzt siehst ja, was dabei herauskommt. Treibt sich mit einem Goi vor aller Augen auf demJahrmarkt herum – das ist doch die Höhe!» Deborahs noch immer hübsches Gesicht wurde rot vor Ärger. «Ich hätte Esther schon längst dem Sohn deines Straßburger Freundes versprochen – aber du hast dich ja geweigert. Und nur weil deine Tochter behauptet, der Uri ben Salomon sei strohdumm. Schon immer hast du ihr in allem nachgegeben. Aber du musst dir auf dem Markt ja auch nicht dieses Geschwätz anhören, von wegen, unsere Judenmetze soll die Finger von den Bürgersöhnen lassen. Was noch zu den harmlosen Bemerkungen gehört.»
Sie holte tief Luft, dann nahm sie einen Schluck Wein. Die aufgeschmolzenen Tropfen auf dem kostbaren Glas sahen aus wie Tränen, fand Clara. Sie selbst hatte den Wein, den die Dienstmagd ihnen aufgewartet hatte, bisher nicht angerührt.
«Dabei wird umgekehrt ein Schuh draus», fuhr Deborah fort und wandte sich Clara zu. «Du hast deinen Sohn nicht im Griff. Soll er sich doch eine junge Schickse suchen, anstatt sich an unsere Esther dranzuhängen und dann auch noch eine Prügelei im Stadtgraben vom Zaun zu brechen.»
Jetzt platzte Clara der Kragen. «Wär’s dir lieber gewesen, der Tuchersohn hätte ihr Gewalt angetan?»
Moische wiegte missbilligend den Kopf. «Clara hat recht. Benedikt ist ein anständiges Jungchen, auf den lass ich nichts kommen. Trotzdem müssen wir Schlimmeres verhüten. Heut Abend noch will ich mit unserm Aaron darüber sprechen, als künftigem Familienoberhaupt. Und dann, denk ich, werden wir in dieser wichtigen Angelegenheit den Rebbe um Rat fragen müssen.»
Als Clara wenig später das Haus der Grünbaums verließ, war sie ein Stück weit erleichtert. Auch wenn sie sich wieder einmal über Deborah geärgert hatte: Moische Grünbaum würde schon das Richtige in die Wege leiten.
Den Nachmittag über hatten sich die Wolken dunkel zusammengezogen. Benedikt schaffte es eben noch, das Werkzeug aufzuräumen, als der Himmel seine Schleusen öffnete. Er zögerte einen Moment, ob er in der Werkstatt Schutz suchen sollte, machte sich dann aber doch auf den Heimweg. Nach der Trockenheit des Vormonats gebärdete sich der Weidemonat ungewöhnlich heiß und schwül, und die Abkühlung würde ihm guttun. Zudem war er in fast schon übermütiger Stimmung.
Nachdem er nämlich den Arm der Synagogenfigur zur Zufriedenheit von Meister Johannes fertiggestellt und sich ans Ausbessern des Gesichts gemacht hatte, hatte er allen Mut zusammengenommen und seinen Vorsatz wahr gemacht. An nur einem Tag hatte er nicht nur den Schaden am Haarschopf beseitigt, indem er die Wange stärker herausgearbeitet hatte, sondern mit wenigen vorsichtigen Schlägen dem Frauengesicht eine neue Mimik verliehen. Die Lippen wirkten nicht mehr böse zusammengekniffen, sondern voller und weicher, die Mundwinkel nicht mehr so herabgezogen. Bis Einbruch der Dämmerung hatte er gebraucht, dann war er fertig geworden.
Das war gestern gewesen. Vergangene Nacht hatte er kaum schlafen können vor Aufregung, da er wusste, dass der Meister gleich am nächsten Morgen das Werk begutachten wollte, bevor es frisch übermalt würde. Inzwischen hatte sich Benedikt mit seiner Mutter versöhnt und wohnte wieder im Elternhaus. Seither war der Name Esther bei Tisch nicht mehr gefallen. Den Eltern hatte er von seinem eigenmächtigen Handeln an der Figur der Synagoge nichts erzählt, und so hatte auch niemand verstanden, warum er weder gestern Abend noch heute früh einen Bissen herunterbringen konnte. Ihm war vollkommenbewusst, dass der heutige Tag sein letzter auf der Hütte sein konnte.
In banger Erwartung hatte er schließlich heute Morgen den Meister in die Vorhalle der Pfarrkirche geführt und mit gesenktem Kopf auf dessen Urteil gewartet.
«Nur ein Fachmann mit Adleraugen würde erkennen, dass der Arm ersetzt ist», sagte Meister Johannes mit
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