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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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nur von Bauern und Trödlern benutzt wurde, war nämlich nachts verschlossen. Morgen früh würde Esther, wenn sie sich nur unauffällig genug benahm und der Herrgott ihr beistand, gewiss ungehindert das Tor passieren können.
    «Wir sind da.»
    Clara öffnete das niedrige Türchen und schob Esther hinein. Jetzt erst fiel ihr auf, wie erbärmlich das Mädchen stank. Aber so musste sie sich wenigstens keine Sorge machen, dass Rudolf irgendwas Schlimmes mit ihr angestellt hatte. Zugleich wurde ihr allmählich bewusst, welcher Gefahr sie sich selbst mit dieser Unternehmung ausgesetzt hatte. Und auch, dass Esthers Eltern und Geschwister nun dem sicheren Tod ausgeliefert waren, sofern sie sich nicht taufen ließen. Doch das war von den Grünbaums als Letztes zu erwarten.
    «Mach dir ein Lager aus Stroh. Hinten an der Wand habich dir eine Pferdedecke hingelegt und dicke Filzsocken. Da hast du’s wenigstens warm in der Nacht. Frisches Wasser und etwas zu essen findest du auch. Du musst zu Kräften kommen bis morgen. Sobald es hell ist, machst du dich auf den Weg. Nach Straßburg, zu den Freunden deines Vaters. Du schaffst das, ganz gewiss. Geh nur rechtzeitig, bevor die Bader ins Horn blasen und ihre Stuben öffnen.»
    Esther hatte die ganze Zeit über kein einziges Wort geredet. Jetzt stieß sie hervor: «Ich will zurück!»
    «Bist du narrisch geworden?»
    «Ich will mit den anderen sterben. Bitte lass mich gehen.»
    «Nein, Esther.» Claras Tonfall wurde hart. «Du bist jung, du darfst nicht sterben. Gott hat dich bis hierher gebracht, also will er, dass du lebst. Und Eli und Jossele werden auch nicht sterben müssen. Sie kommen morgen in ein Kloster. – Hier», sie drückte ihr ein paar Münzen in die Hand. «Für alle Fälle.»
    Als Clara sich von Esther verabschiedete, wunderte sie sich nicht, dass über die Lippen des Mädchens kein Dankeswort kam. Mit einem Mal fragte sie sich nämlich selbst, ob sie richtig gehandelt hatte. Ob sie Esther mit ihrer Flucht wirklich einen Gefallen getan oder nicht vielmehr ihr Leid noch unendlich vergrößert hatte. Aber dazu war es nun zu spät.
     
    Am nächsten Morgen beeilte Clara sich, zu ihrem Schuppen zu kommen. Das Mädchen war nicht mehr da, der Wasserkrug geleert, Brot, Käse und Strümpfe verschwunden.
    «Lieber Herrgott, ich danke dir!», flüsterte sie unter Tränen. Sie nahm die Decke, die Esther sorgfältig zusammengelegt hatte, unter den Arm und kehrte zurück in die Stadt. Die Gassen füllten sich mit Schaulustigen, die angesichts des bevorstehenden Spektakels alle in Richtung Große Gass drängten. Dortwürden sich die Gefangenen sammeln, bevor man sie vor die Stadt brachte.
    Hastig öffnete Clara das Hoftor, um all dem zu entkommen. Sie wollte nur eines: in ihrer Küche vor dem warmen Herdfeuer sitzen und Augen und Ohren verschließen.
    «Clara! Wo warst du denn jetzt schon wieder?»
    Vor ihr, in der offenen Haustür, stand Heinrich und musterte sie in einer Mischung aus Argwohn und Sorge.
    Sie schüttelte nur stumm den Kopf und legte die Pferdedecke in der Diele ab. Als sie sich an ihm vorbeidrücken wollte, nahm er sie sanft, aber bestimmt beim Arm.
    «Sie holen gerade die Männer aus dem Turm. Moische und Aaron sind auch dabei. Komm. Verabschieden wir uns von ihnen.»
    «Ich – ich kann das nicht.»
    «Bitte, Clara. Das ist noch das Geringste, was wir tun können. Es sind unsere Freunde.» Sie spürte, dass er recht hatte, und beschloss, ihn zu begleiten.
    Auf dem kurzen Wegstück hinüber zum Rindermarkt fiel Clara auf, was für ein schöner Wintertag heute war. In makellosem Hellblau spannte sich der Himmel über die Stadt, die Sonne hatte sich über die Berge geschoben und ließ die beschneiten Dächer und gefrorenen Wege kristallgleich glitzern. Hob man das Gesicht ins Sonnenlicht, konnte man die Wärme des bevorstehenden Frühlings bereits ahnen.
    Dem herrlichen Tag wie zum Hohn zerrte man eben gerade die Gefangenen aus dem Christoffelsturm. Die, die weder zu gehen noch zu stehen mehr in der Lage waren, wurden auf Eselskarren geladen. Einem jungen Burschen waren ganz offensichtlich die Beine gebrochen.
    An Heinrichs Seite zwängte sich Clara durch die Mengeder Schaulustigen, den Blick starr zu Boden gerichtet. Als sie aufsah, entdeckte sie auf einem der Wagen Moische, mit merkwürdig verdrehten Armen, die Augen geschlossen. Man hatte ihn also aufgezogen und dabei beide Schultergelenke ausgerenkt. Aaron stand nahe bei ihm. Wie bei den anderen, die noch

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