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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Mehr oder weniger stumm löffelten sie ihre Rübensuppe, in die Johanna, auf Claras Anweisung hin, für diesmal reichlich Wurst und Speck geschnitten hatte. Doch Benedikt schien es nicht einmal zu bemerken.
    Schließlich legte Heinrich seinen Löffel beiseite und räusperte sich. «Erinnert ihr euch», wandte er sich an seine Kinder, «an unsere Schutzhütte oben auf dem Wald? Über dem Dorf Ebnot? Letzten Herbst wart ihr mit, als wir dort Holz geschlagen haben. Nun ja, eure Mutter und ich haben entschieden, dass ihr dort die Sommerwochen verbringen werdet.»
    Entgeistert starrte Johanna ihren Vater an. «In diesem dreckigen Loch sollen wir schlafen? Niemals.»
    Die kleine Kathrin schob die Unterlippe vor und presste zwei Tränen zwischen den Augenlidern hervor. «Da hab ich Angst.»
    «Das musst du nicht.» Clara legte den Arm um ihre Jüngste. Sie wusste genau, woran das Kind dachte. Ein heftiger Sturm hatte sie damals überrascht, als sie oben im Wald, wo ihnen seit Heinrichs Großvater ein Jauchart Holz in Erbpacht gehörte, ihr Winterholz hatten holen wollen. Von jetzt auf nachher wardas Wetter aufgezogen, schwarzgrau hatte sich der Himmel verfärbt, bevor es über ihnen zu tosen begonnen hatte. Gerade noch rechtzeitig hatten sie alle miteinander die Schutzhütte erreicht, als schon die ersten Äste herunterprasselten. Einer hatte die Ecke des Dachs durchschlagen, ansonsten aber waren sie mit dem Schrecken davongekommen. Und eine gute Menge zusätzliches Holz hatte ihnen das Unwetter obendrein beschert, durfte man doch nur ernten, was auf dem Boden lag oder bis in Mannshöhe wuchs.
    Michel stieß seine Schwester in die Seite. «Heulsuse! Ich fand es richtig schön gruselig.»
    Er wandte sich an Eli und Jossele, die mit großen Augen zugehört hatten. «Da im Wald hat es wilde Tiere, und man muss sich mit Löwenblut einreiben, damit man sicher ist. In der Nacht sprechen die Bäume, und es kommen Dämonen, die sehen aus wie riesige schwarze Hunde und haben glühende rote Augen. Und wenn man   …»
    Kathrin heulte lauter.
    «Schluss jetzt!» Clara gab Michel einen Klaps hinter die Ohren. «Du machst den Kleinen ja Angst.»
    Eine Zeit lang herrschte Schweigen, bis Johanna fragte: «Warum sollen wir dorthin? Da gibt es ja nicht mal ein Bett zum Schlafen und Kochgeschirr, und das Dach ist kaputt und   …»
    «Weil ihr dort sicherer seid als hier in der Stadt», unterbrach Heinrich sie. Seine Stimme klang erstaunlich ruhig. «Mehr braucht ihr Kinder nicht zu wissen, und ihr solltet auch mit niemandem drüber reden. Es ist ja auch nicht für lange. Im Übrigen haben wir die Hütte längst wieder gerichtet. Mit einer frischen Strohschütte und warmen Decken werdet ihr ein wunderbares Nachtlager haben.»
    «Wieso sagst du ‹ihr›? Kommst du denn nicht mit uns?»
    «Nein, nur eure Mutter. Ich bleibe hier.»
    Benedikt hob den Kopf. «Ich auch.»
    Es waren die ersten Worte, die er an diesem Abend von sich gab.
    «Nein, mein Sohn. Ich kann Johanna und deine Mutter nicht allein mit den Kleinen im Wald lassen. Da muss schon ein Mann dabei sein.»
    «Das hättet ihr euch früher überlegen müssen», entgegnete Benedikt ungerührt. «Ich bin Meisterknecht und verwirke auf immer meine Anstellung, wenn ich mich jetzt davonmache. Für die Kinder ist es recht, aber ein Erwachsener, der sich jetzt aus dem Staub macht, ist nichts als feige.» Er warf Clara einen verächtlichen Blick zu.
    «Feige?» Heinrichs Wangen liefen dunkelrot an. «Willst du sagen, deine Mutter sei feige? Nimm das sofort zurück!»
    Benedikt zuckte die Achseln. «Nenn es, wie du willst. Ich jedenfalls bleibe hier in der Stadt und arbeite weiter, ganz gleich, was geschieht. Außerdem ist es Gottes Fügung, wenn die Pestilenz über uns kommt. Die verdiente Geißel für unseren Frevel an den Juden.»
     
    Früher als gewöhnlich gingen sie an diesem Abend zu Bett. Heinrich war noch immer reichlich aufgebracht; zum einen über Benedikts Weigerung, seine Familie zu beschützen und mit zur Hütte zu gehen, zum andern, weil sein ältester Sohn vor den Geschwistern ausgesprochen hatte, was nicht für deren Ohren bestimmt war. Wäre Clara nicht dazwischengegangen, so hätte Heinrich wohl am Ende tatsächlich die Hand gegen seinen erwachsenen Sohn erhoben.
    «Er hat es nicht so gemeint.» Clara schlüpfte neben ihn unter die Decke. «Und in einem hat er recht: Die Bruderschaftwürde ihn ausschließen, wenn er sich einfach auf und davon machen würde.»
    «Ich weiß

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