Der Pestengel von Freiburg
Ich war draußen im Gutleuthaus undhab die Siechenmeisterin ein bisschen ausgefragt. Dort ist das Krankheitsbild ein ganz anderes. Blauschwarze Blattern, wie es auch die Leprösen haben, aber dazu kommen an Achseln und Leiste Beulen – so groß wie Eier oder Äpfel, die eitrig aufbrechen. Am Ende dann Umnachtungen, Traumgesichte und Albträume, alles unter unerträglichen Schmerzen. Es gibt nur eine Krankheit, die solcher Art in zweierlei Form auftritt», er hatte zu flüstern begonnen, obgleich sie allein im Raum waren, «und das ist die Pestilenz.»
Filibertus Behaimer war mehr als verärgert. Dieser halsstarrige Grathwohl – man sollte ihn aus der Stadt jagen! Kommt da mitten im Nachtmahl zu ihm hereingeschneit, um von ihm Knall auf Fall eine Beschau der toten Leprösen zu verlangen. Welch eine Impertinenz! Forderte darüber hinaus sogar, die Bürgerschaft über den Sachverhalt aufzuklären.
Behaimer wischte sich den Bratensaft vom Kinn und lehnte sich zurück. Grathwohl war ein Dummkopf. Erkannte er nicht, dass es jetzt in erster Linie galt, den Deckel auf dem Topf zu halten? Selbstredend hatte auch ihn die böse Nachricht aufgeschreckt, dass im Gutleuthaus die Beulenpestilenz aufgetreten war. Dass die Beurteilung der Siechenmutter korrekt war, daran zweifelte er nicht – die gute Frau verstand ihr Handwerk, da brauchte er nicht selbst vor Ort zu sein. Aber, sagte er sich, allemal besser dort draußen als hier in der Stadt. Zudem war es längst beschlossene Sache, dass die Sondersiechen ihre vier Wände nicht mehr verlassen durften, auch nicht für ihre sonntäglichen Almosenbittgänge zur Pfarrkirche. Man würde die Seuche dort schon im Keim ersticken.
Bis dahin musste Stillschweigen gewahrt werden. Meister Arbogast, der andere geschworene Wundarzt, war in dieserHinsicht um einiges verständiger. Viel einfacher zu handhaben war der. Für morgen früh war eine außerordentliche Ratssitzung einberufen, und da würde Arbogast bezeugen, dass es sich bei den hiesigen Todesfällen um eine schwere Influenza handle. Das hatte der brave Mann ihm auf Ehre und Gewissen versprochen. Und solange nicht das Gegenteil bewiesen war, wollte auch er selbst, Filibertus Behaimer, bei dieser Auslegung bleiben.
Heinrich Grathwohl hingegen stellte sich quer. Längst bereute Behaimer, dass er diesen respektlosen Sturkopf dereinst als städtischen Wundarzt vorgeschlagen hatte. Und dies auch nur, weil sein Vorgänger, Stadtphysicus Wernher von Buochheim, ihn als äußerst fähigen Chirurgus empfohlen hatte. Nein, dem Kerl musste nun endgültig das Maul gestopft werden, bei Androhung von Stadtverweis auf ewig. Blieb nur zu hoffen, dass sich der Rat hierin morgen einig würde.
Behaimer schenkte sich seinen Weinbecher randvoll nach und nahm einen kräftigen Schluck. Es würde schon alles seinen Gang nehmen. Denn dass die Einwohnerschaft nur ja nicht in unangemessenen Schrecken versetzt werden durfte, das sahen die anderen Ratsherren ebenso wie er. Schließlich hatte es in letzter Zeit genug Unruhen gegeben: erst der Judenauflauf, dann die Krawalle um Snewlin und Genossen, am Ende diese Brut von Geißelbrüdern. Die Stadt musste endlich zur Ruhe kommen. Da konnte die Kunde eines einzigen Falles von Pestilenz ausreichen, dass Ordnung, Handel und Verwaltung zusammenbrächen. Gerade jetzt, wo Kirchweih und Schützenfest bevorstanden und zu Michaelis dann die große Handelsmesse.
Dreifaches Klopfen riss Behaimer aus den Gedanken.
«Was gibt’s?»
Der Knecht steckte den Kopf zur Tür herein.
«Verzeiht vielmals die Störung, Magister. Ihr mögt sofort zum Herrn Bürgermeister kommen.»
«Um diese Zeit?»
«Es ist dringend. Sein Küchenmädchen ist erkrankt.»
«Hör ich recht? Ich soll eine Küchenmagd behandeln?»
«Nun ja – der Herr Bürgermeister lässt ausrichten, es würd sich sozusagen um eine Geheimsache handeln. Und zwar um ein …» Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. «Um ein gar seltsames Karbunkel auf der Haut.»
Behaimer fuhr so rasch in die Höhe, dass der Lehnstuhl hinter ihm wegkippte.
«Hast du hiervon irgendwem erzählt?», herrschte er den Knecht an.
«Aber nein, Magister.»
«Dann halt auch fürderhin den Mund, wenn dir deine Stellung lieb ist.»
In den letzten Tagen hatte sich der Sommer zunehmend schwül und heiß gezeigt, und eben gerade erst hatte ein kurzer Gewitterguss die ersehnte Abkühlung gebracht. Clara machte sich auf den Weg zur Kirchenbauhütte, um Benedikt zu holen.
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