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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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aus der Wunde trat, dass es nicht gerinnen konnte, merkte sie nicht. Hauptsache, ihr Vater lebte.
    »Papa! … Es ist so schrecklich.«
    Anstatt sich wegen des aus seiner Besinnungslosigkeit erwachten Vaters wenigstens etwas zu beruhigen, ging Leas Schluchzen in einen Weinkrampf über. Sie merkte nicht, dass sie ihre Hände ganz fest in dessen blutverschmiertes Hemd krallte und ihn – so gut es ihre Kräfte vermochten – schüttelte.
    Dass sie ihm dadurch zusätzlichen Schmerz zufügen könnte, kam ihr nicht in den Sinn. Erst als sich diese ungewollte Verkrampfung löste, erschrak sie über ihr Tun und legte sanft den Kopf auf die Brust ihres Vaters. »Entschuldige, Papa.«
    »Die Hühner«, hauchte er kaum vernehmbar immer wieder.
    »Was ist damit?«, fragte Lea verwirrt. »Was … «
    »Treib … treib sie raus«, unterbrach der Schwerverletzte seine Tochter, weil er nicht wusste, ob er einen Augenblick später noch dazu in der Lage sein würde. Das Sprechen kostete den durch Blutverlust und Schmerzen arg geschwächten Körper so viel Kraft, dass Jakob Bomberg keinen ganzen Satz mehr am Stück herausbringen konnte.
    »Ja, Papa? Soll ich … ?«
    »Ja! Und leg alle Eier vor die Tür. – Vielleicht lassen sie uns dann in … «
    »Papa! Papa«, rief Lea verzweifelt. Aber es half nichts. Ihr Vater antwortete schon wieder nicht mehr.
    Lea drückte beide Hände auf ihren Mund und blickte sich nach allen Seiten um. »Was hat Papa zu mir gesagt?«
    Ihre Gedanken schwirrten derart wirr durch den Kopf, dass sie es nicht fertigbrachte, sie zu sortieren. »Papa, was hast du gesagt? Was soll ich tun?«
     
    Als ein Stein mit solcher Wucht durch das Fenster mit dem kurz zuvor beschädigten Fensterladen schoss, dass er sogar an die hintere Wand krachte und beim anschließenden Herunterfallen einen großen Tonteller zerdepperte, riss es Lea hoch und sie erwachte wie aus einem tranceähnlichen Zustand.
    Jetzt fiel es ihr wieder ein: »Die Hühner! Und die … «
    Hastig rannte sie den düsteren Gang entlang, in dem rechter Hand die Arbeitsgeräte ihrer Eltern hingen und links die Regale mit den Hühnereiern standen, und verletzte sich dabei so fest am rechten Oberarm, dass es sie gleich auf die andere Seite – mitten in die Eierregale hinein – schleuderte. Das erste Holzgestell kippte um und drückte Lea auf den Boden. Dabei blieb kaum ein Ei heil. Während nach und nach auch die anderen Regale zusammenbrachen, schrie sie vor Schmerz und hielt ihre blutende Schulter. Aber sie hatte jetzt keine Zeit, sich um sich selbst zu kümmern – sie hatte einen Auftrag, den es schnellstens zu erfüllen galt. Trotz des stechenden Schmerzes ließ sie sich nicht beirren und lief jetzt ungebremst in den Hühnerstall. Hastig schnaufend angekommen, riss sie die Stalltür auf. Dass das eindringende Tageslicht blendete, war eine Gnade. So sah sie die drohende Menschenmenge wenigstens nur schemenhaft. Sie versuchte erst gar nicht, ihre Augen an das langsam untergehende Licht der Sonne zu gewöhnen. Da die Hühner mindestens genauso aufgeregt waren wie Lea, brauchte sie diese erst gar nicht nach draußen zu scheuchen. Die dummen Viecher rannten dem Tageslicht und somit ihrem unvermeidlichen Ende in den Mägen der hungernden Meute entgegen.
    Die Leute ließen ihre Mistgabeln, Sauspieße und Dreschflegel fallen und rannten – wie das aufgeregt gackernde Federvieh – ebenfalls wild durcheinander, um es zu fangen.
     
    Von alledem bekam Lea nichts mehr mit. Sofort schloss sie die Stalltür wieder und lehnte sich schnaufend mit dem Rücken dagegen, sie konnte nicht mehr. Sie hoffte jetzt nur noch, dass die da draußen sich mit den Hühnern zufriedengeben und sie und ihren Vater in Ruhe lassen würden. »Mama … «, wimmerte sie.

Kapitel 31
     
    Als sich die Mönche des Klosters Mehrerau um sieben Uhr zur Morgensuppe versammelten, hatten sie bereits das Stundengebet mit dem anschließenden Morgenlob und das Konventamt hinter sich. Werktags wie sonntags und sommers wie winters begann ihr Tag zur fünften Stunde. Wie es der monastischen Lebensweise entsprach, war der klösterliche Bereich aber nicht nur ein Ort des Gebetes, sondern auch der Arbeit. So hatten einige der geistlichen Brüder sogar schon seit der vierten Stunde auf den Beinen sein müssen, um die Öfen zu schüren, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, Brot zu backen und die Morgensuppe zuzubereiten oder andere Arbeiten zu verrichten.
    Vom Beginn des Tages an demonstrierten die Mönche

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