Der Peststurm
gratulierte ihm: »Ja, Ulrich, es sieht so aus, als müsstest du dich damit abfinden, dass dein mir leider unbekannter Sohn klüger ist als du.« Da Nepomuk – bevor er sich nach Sigmaringen aufgemacht hatte – in Salzburg und Wien ein Professor medicinale gewesen war, hatte er Eginhard nicht mehr kennenlernen können. Die beiden waren sich also noch nie begegnet.
Dem Kastellan schwirrten die Gedanken so intensiv durch den Kopf, dass er glaubte, sie würden gegen seine Schädelwand prallen, um sich Wege nach draußen zu suchen. Er konnte es einfach nicht glauben, dass sein ältester Sohn jetzt schon die Doctorwürde erlangt zu haben schien. In den Wust der vielen erfreulichen Gedanken mischte sich nun aber auch der eigentlich traurige Grund für sein Hiersein. Er konnte es nicht verhindern, plötzlich ganz innig an seinen toten Sohn und an seine kranke Frau zu denken.
Wenigstens kann ich Konstanze eine gute Nachricht überbringen, wenn ich wieder in Staufen bin, tröstete er sich, während seine Augen feucht wurden. Angesichts der vielen Männer wollte sich der Kastellan zusammenreißen, verlor aber letztendlich den Kampf gegen die Tränen. Um sich nicht zu blamieren, wo es eigentlich nichts zu blamieren gab, und um seine Gedanken ordnen zu können, zog er sich für einen Moment in einen nur spärlich beleuchteten Winkel des Raumes zurück.
Als er wieder zurückkam, klatschten die Mönche anerkennend in die Hände: »Es ist eine große Ehre für uns, den Vater unseres jungen Doctors kennenzulernen.«
»Ich habe mich also nicht verhört? Eginhard hat in der Tat die Doctorwürde erlangt? Er ist ein Medicus!«
»Ja«, schallte es ihm vielkehlig entgegen.
»Es ist schon spät und das Nachtgebet wartet auf uns«, unterbrach Bernardus die Begeisterung der Mönche und schnippte mit den Fingern.
Zwei Novizen traten vor: »Meister Bernardus?«
Der Mönch drehte sich zum Gast hin: »Sicher seid Ihr von der langen Reise müde und freut Euch auf ein weiches Nachtlager. Dieser junge Novize wird Euch in Eure Zelle bringen, während der andere Euer Pferd versorgt. Wir würden uns noch gerne länger mit Euch unterhalten, könnten aber Gefahr laufen, unseren Abt zu verärgern. Er hat es nicht gerne, Dinge erst dann zu erfahren, wenn wir sie schon wissen. Unser Klosterleiter hat sich bereits zurückgezogen und wird morgen in aller Herrgottsfrüh über Euer Kommen unterrichtet werden«, bestimmte Bernardus, der nach dem Gesagten seinen Blick vom Kastellan ab- und Nepomuk zuwandte. »Und du, Bruder Nepomuk, wirst dich darüber freuen, jetzt mit uns das Komplet zu sprechen.«
Nepomuk hätte viel lieber ein paar Becher gepresster und vergorener Bodenseefrüchte im Kreise seiner Mitbrüder geleert, fügte sich aber der Anordnung seines Mitbruders Bernardus. »Ja! Morgen ist auch noch ein Tag!«
»Und was ist mit meinem Sohn? Kann ich ihn sehen?«, fragte Ulrich Dreyling von Wagrain erwartungsvoll.
»Heute nicht mehr. Er schläft bereits. Ihr werdet ihn morgen treffen. Überlasst ihn jetzt dem Schlaf des Gerechten. Damit Ihr ihn morgen früh überraschen könnt, werden wir ihm nichts von Eurer Ankunft erzählen.«
Der Kastellan konnte es zwar kaum erwarten, seinen Ältesten in die Arme zu schließen und ihm zu gratulieren, wusste aber noch nicht so recht, wie er ihm die traurige Nachricht von Diederichs Tod überbringen sollte. Da er außerdem hundemüde war, sollte es ihm recht sein, erst morgen früh auf Eginhard zu treffen. Er war jetzt ja in seiner Nähe, das beruhigte ihn.
Kapitel 30
Obwohl Lea die klaffende Kopfwunde ihres Vaters notdürftig verbunden hatte und immer wieder – wenn vom obersten Leinenstück das Weiß dem hässlichen Rot gewichen war – einen zusätzlichen Stofffetzen darauflegte, brachte sie die starke Blutung nicht zum Stillstand.
Immer, wenn sie sanft versuchte, etwas fester daraufzudrücken, lief ihr die warme Flüssigkeit zwischen den Fingern hindurch – gerade so, als wenn sie das Blut herausdrücken würde. Während sie mit weit aufgerissenen Augen entsetzt ihre roten Handinnenflächen betrachtete, veränderte sich ihre ansonsten liebliche Mundpartie zu einer zitternden Grimasse. Als sie damit fertig geworden war, ihren schwer verletzten Vater zu verbinden, bemühte sie sich, ihn zu seiner Lagerstätte zu schleppen. Aber er war zu schwer. Immer wieder versuchte sie, ihn unter den Achseln fassen zu können und hochzuheben. Nachdem dies nicht geklappt hatte, packte sie ihn an den Füßen,
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