Der Peststurm
Kastellan seinen Sohn ungläubig, aber stolz, ansah, fuhr der Abt fort: »In Salzburg musste er das Elementarstudium der ›Artes liberales‹, wozu Grammatik, Rhetorik und Dialektik gehören, hinter sich bringen, um seinem Ziel näher zu kommen. Nach drei Semestern hatte Eginhard das Elementarstudium mit Bravour bestanden und als ›Bakkalaureus‹ beendet, bevor er in Wien sieben weitere Semester lang studierte, wonach er – zum ›Magister artium‹ graduiert – die Lehrbefähigung erlangt hat und nach Mehrerau zurückkehren konnte, um hier, von Bruder Alfons unterrichtet, intensiv die Heilkräfte der Natur und die Medizin studieren zu können.«
Der Abt schnaufte tief durch.
»Schon am Ende dieses Jahres wird Eginhard seine Lehrbücher an einen ebenfalls talentierten Knaben aus Arbon weitergeben und hoffentlich selbst als Dozent in unserem Institut wirken. Mein Glück wäre vollkommen, wenn uns neben Eginhard auch Bruder Nepomuk als Professor zur Verfügung stehen würde. Obwohl dies wohl erst der Fall sein wird, wenn es jemandem gelingt, ihm seine Streitaxt abzunehmen, haben wir jetzt schon die Zusage aus Wien, einen weiteren Studiosus – den eben genannten Knaben – aufnehmen zu dürfen. Da wir nicht so lange warten können, bis Bruder Nepomuk so alt ist, dass seine Hände die Axt nicht mehr zu halten vermögen, konzentrieren wir uns auf den vielversprechenden Knaben aus der Schweiz, der Eginhard nachfolgen und – so Gott will – teilweise auch von ihm unterrichtet werden wird. Sollte uns dann ein dritter Erfolg beschieden sein, wird es unserem Kloster freistehen, hochoffiziell eine eigene Universität zu gründen«, schloss der Abt den ersten Teil seines Berichtes.
Während die Mönche begeistert zu klatschen begannen, legte der Kastellan seinen rechten Arm um Eginhard und drückte ihn fest an sich. »Ob Sünde oder nicht: Ich bin stolz, mein Sohn!« Die Tränen in seinen Augen sah Eginhard nicht.
Eine Handbewegung des Abtes gebot der aufkommenden Unruhe im Raum Einhalt und sorgte dafür, dass ihm auch weiterhin die ungeteilte Aufmerksamkeit der Mönche zuteil wurde.
»Ich bin noch nicht ganz fertig und möchte jetzt auf unseren Bruder Johannes Nepomuk eingehen! Seit aus dem Kind ein Knabe wurde, ist kaum ein Tag vergangen, an dem er mich nicht nach seinen leiblichen Eltern gefragt hat. So musste ich ihm eines Tages die Wahrheit über seine … «, der Abt schluckte, »blaublütige Herkunft sagen. Nepomuk trägt sogar den Vornamen seines Vaters, des regierenden Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen und wird nur von uns Nepomuk gerufen.«
Im Speisesaal war es jetzt so still, dass die Mönche ihr eigenes Schnaufen hören konnten, während sie sich gegenseitig ungläubig anschauten. Der Abt ließ ihnen genügend Zeit, das soeben Gehörte gedanklich zu verarbeiten, bevor er Genaueres darüber erzählen wollte. Denn von Nepomuks hochadliger Abstammung wussten sie bisher ja nichts.
Der stolze Vater lächelte Eginhard wissend an, während auch er dem Abt zuhörte und noch einige Neuigkeiten über die vornehme Abstammung seines Freundes erfuhr, die ihm Nepomuk noch nicht berichtet hatte.
Nachdem sich die Mönche wieder etwas beruhigt hatten, ergriff Abt Vigell erneut das Wort und sagte spaßeshalber: »Nun wisst ihr über euren Mitbruder Nepomuk Bescheid und könnt euch ihm gegenüber dementsprechend benehmen.«
»Nur gut, dass wir vor ihm nicht in die Knie gehen müssen, um unter ihm zu stehen, weil er selbst so groß ist«, witzelte der betagte Mönch, der sich zuvor schon erdreistet hatte, den Abt zu unterbrechen.
Aber der nahm es gelassen und wandte sich abermals lächelnd dem Gast zu: »Und nun zu Euch, werter Dreyling von Wagrain, hochrangiger Verwalter des Schlosses Staufen … und Vater unseres allseits geschätzten und beliebten Zöglings. Seid uns ebenfalls herzlich willkommen! Was ist der Grund dafür, dass Ihr den beschwerlichen Weg von Staufen hierher nach Brigantium auf Euch genommen habt?«
Der Gast benötigte etwas Zeit, bevor er antworten konnte: »Ich bin hierhergekommen, um meinem Sohn etwas Wichtiges mitzuteilen.« Er sah mit schmerzlichem Blick auf Eginhard.
»Um Gottes willen, Vater! Ist etwas mit Mutter?«
»Nein! Nein! Ihr geht es zwar immer noch nicht gut, aber es ist nichts Außergewöhnliches mit ihr«, versuchte der Kastellan, seinen Sohn zu beruhigen.
Eginhard spürte dennoch, dass etwas nicht stimmte. So ließ er nicht locker und stellte seinem Vater hastig eine
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