Der Peststurm
zu vergessen.
Eine merkwürdige Reaktion für einen friedliebenden Obermönch, empfand der im Grunde genommen ebenfalls friedliche Staufner, dem sogleich zugesichert wurde, ihn mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Der großzügige Klosterleiter versprach sogar, einen großen Wagen mit Lebensmitteln bepacken zu lassen, damit wenigstens im Staufner Schloss und im Spital – von dem der Kastellan ebenfalls ausführlich berichtet hatte – für eine gewisse Zeit nährstoffreiche Kost zur Verfügung stehen würde.
»Vergiss aber nicht, ein Lot Wein mit aufladen zu lassen«, empfahl Nepomuk. »… nicht wegen des Weines selbst, nur wegen der darin enthaltenen Nährstoffe.«
Nach der Vesper fanden sich der Abt, Nepomuk und Eginhard ohne den Kastellan zu einem Gespräch zusammen. Die Unterhaltung verlief erwartungsgemäß problematisch. Die beiden Benediktinermönche mussten schwere Geschütze auffahren, um den jungen Mann davon zu überzeugen, dass es besser wäre, wenn an seiner statt Bruder Nepomuk mit nach Staufen reiten würde, um zu versuchen, seiner todkranken Mutter zu helfen. Auch wenn Eginhard selbst nicht würde mitkommen können, würde es seiner Mutter doch eine große Freude bereiten zu erfahren, dass ihr Erstgeborener nicht nur ein Doctor war, sondern sich auch anschickte, noch höhere wissenschaftliche Weihen zu empfangen. So etwas hatte es bisher im gesamten Allgäu nur höchst selten, in Staufen sogar noch nie gegeben. »Deine Mutter wird sehr stolz auf dich sein«, war sich Abt Vigell sicher.
Eginhards Vater hielt sich bewusst aus diesem heiklen Gespräch heraus und lief stattdessen lieber im Flur auf und ab, damit ihm der junge Medicus später nicht würde vorwerfen können, schuld daran zu sein, dass er seiner Mutter zwar habe helfen wollen, aber es letztendlich doch nicht geschafft habe, sie zu retten. Dies würde das ganze Leben seines hoffnungsvollen Sprosses für alle Zeiten negativ verändern und er würde nie mehr der aufstrebende Jungmediziner sein, der er ansonsten sein könnte. Umgekehrt wollte der Kastellan auch nicht die Last mit sich tragen müssen, falls Nepomuks Heilkunst nicht ausreichen sollte. »Ihn dann zum Teufel jagen, ist leicht gesagt. Aber wer hätte etwas davon?«, überlegte er.
Der Kastellan war sich bewusst, dass Eginhard seine Mutter vielleicht nie mehr sehen würde, … wenn er jetzt nicht mitkam. Diese Vorstellung war für den liebenden Vater unerträglich. Während die anderen in der zwei Stockwerk hohen und reichlich ausgeschmückten Bibliothek saßen und laut hörbar diskutierten, wandelte er unruhig umher.
Endlich ging die Tür auf und die drei kamen heraus. Eginhard lief schnurstracks auf seinen Vater zu und umarmte ihn, während er ihm leise ins Ohr flüsterte: »Ich weiß nicht, warum, aber ich habe Vertrauen zu Bruder Nepomuk. Er wird Mutter heilen!«
Der Kastellan drückte seinen Sohn, auf den er jetzt ob seiner Besonnenheit und seiner Vernunft noch stolzer war als schon zuvor, ganz fest an seine Brust und schämte sich seiner Tränen nicht, die bei beiden schon wieder reichlich flossen. Um Eginhard wenigstens etwas zu beruhigen, erzählte ihm der Vater ausführlich von Lodewigs Hochzeit mit Sarah und von der Geburt ihres Kindes. Dass Eginhard Taufpate werden würde, verschwieg er ihm. Dies – so war es zu Hause abgesprochen worden – wollte Lodewig seinem älteren Bruder an Weihnachten selbst mitteilen.
Nachdem sie sich noch ein ganzes Weilchen unterhalten hatten, teilten sie den Mönchen die Situation und Eginhards Entscheidung mit. Dabei waren den Klerikern ein lachendes und ein weinendes Auge anzumerken. Zu gerne hätten sie nicht nur Eginhard, sondern auch noch ihren Mitbruder unter sich gewusst. Abt Vigell hatte es mit der Vesper als Teil der liturgischen Regeln des Ordens für heute gut sein lassen, damit sich die Mönche den ganzen Abend mit Bruder Nepomuk unterhalten konnten. Er ließ sogar ein kleines Fässchen besten Seeweines bringen, rief die angeregt plaudernden Mönche allerdings um die zehnte Stunde zur Ordnung, damit sich der Kastellan und Bruder Nepomuk morgen in aller Herrgottsfrühe auf den Weg nach Staufen machen konnten.
Kapitel 32
Mit Hilfe ihrer Frauen hatte eine Schar von Männern die meisten der ungefähr 30 Bomberg’schen Hühner eingefangen. Nur in der Ferne hörte man noch ein gelegentliches Krähen der beiden Hähne, denen die Flucht gelungen war. Aber auch dies dürfte bald verstummen; schneller, als den
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