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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Frage nach der anderen. »… und mit Lodewig und Diederich ist doch auch alles in Ordnung?«
    Der Kastellan erhob sich und wandte sich mit der Bitte an den Abt, sich mit seinem Sohn zurückziehen zu dürfen.
    »Geht in die Kirche! Da stört Euch um diese Zeit niemand. Außerdem seid Ihr dort dem Herrn nahe, falls Ihr seinen Beistand benötigen solltet«, gebot der Klosterleiter mit sanfter Stimme. Da er spürte, dass der Vater seinem Sohn keine gute Kunde überbringen würde, fügte er noch an: »Wir beten währenddessen für Euch und Eure Familie.«
    Eine betretene Stille machte sich breit. Die Mönche falteten die Hände und begannen – ohne sich abgesprochen zu haben – communi consensu damit, ein Stoßgebet dem Himmel entgegenzuschicken.
     
    *
     
    Nachdem sie von einem Novizen in die Kirche geleitet worden waren, eine Kniebeuge gemacht und sich bekreuzigt hatten, setzten Ulrich und Eginhard sich in die erste Bankreihe.
    Der Vater hielt beide Hände seines Sohnes fest und sah ihn lange an. Er wusste nicht, wie er es ihm sagen sollte. Bevor er es herausbrachte, gab sich Eginhard selbst die Antwort: »Lodewig oder Diederich ist tot!«
    Der Vater nickte nur stumm und begann zu schluchzen: »Ja, mein Sohn! … Unser Kleiner!«
    Eginhard schrie ein so lautes »Neiiin«, dass es nicht nur in der Kirche hallte, sondern sogar im Refektorium zu hören war.
    Die Mönche wussten zwar noch nicht, welchen Schmerz Eginhard hinausschrie, sprachen aber dennoch ein Gebet ums andere für die Familie Dreyling von Wagrain. Der junge Medicus verbarg den Kopf in seines Vaters Halsbeuge und fragte immer wieder nur: »Warum? … Warum Diederich?«
    Es dauerte lange, bis er sich so weit gefasst hatte, dass ihm sein Vater den vermeintlichen Unfallhergang, der zum Tod seines jüngsten Bruders geführt hatte, in den vermuteten Einzelheiten berichten konnte. Dabei wurde er immer wieder durch Weinkrämpfe seines Sohnes unterbrochen. So dauerte es eine geschlagene Stunde, bis der ansonsten selten um Worte verlegene Schlossverwalter alles losgeworden war.
    Danach blieben sie noch lange in der Kirche. Sie redeten, schwiegen, beteten und weinten abwechselnd, wobei Tränen in den Augen ihre Dauerbegleiter waren. Immer wieder stellte Eginhard die gleiche Frage: »Warum gerade dieser unschuldige Bub, der doch niemandem etwas getan hat? Mein Gott, wo warst du zur Stunde seines Unfalls?« Dabei schweiften seine Gedanken immer wieder ganz intensiv zur kranken Mutter.
     
    *
     
    Nachdem die Mönche ihr Mittagsmahl und ihre Ruhezeit hinter sich gebracht hatten und sich längst schon wieder ihrem vormittags begonnenen Tagewerk widmeten, spazierten der Kastellan und Eginhard am Seeufer entlang. Die Bewegung, die frische Luft, der klare Blick über den Bodensee bis nach Lindau hinüber und das Gespräch taten Vater und Sohn dermaßen gut, dass sie sich am späten Nachmittag so weit erholt hatten, um an der baldigen Vesper teilnehmen zu können. Zuvor aber wollte Eginhard ein Weilchen allein sein. Diese Zeit nutzte der Kastellan, um dem Abt und Nepomuk vom Unglück seines jüngsten Sohnes zu berichten. Er erzählte auch ausführlich von der langen Krankheit seiner Frau und bat darum, Eginhard mit nach Hause nehmen zu dürfen, damit er seiner Mutter nicht nur seelischen Beistand leisten, sondern auch versuchen könnte, sie mit seinen Künsten zu heilen. »Da er nicht nur – wie ich heute früh gehört habe – sein Grundstudium, sondern auch schon sein Doctoratsstudium beendet hat, ist er hier sicher entbehrlich«, stellte der Kastellan fast schroff fest und ging davon aus, dass es kein Problem sein würde, gleich morgen früh mit Eginhard nach Hause zu reiten.
    Aber der Abt versuchte, dem Schlossverwalter klarzumachen, dass für Eginhard die absehbare Möglichkeit bestünde, darüber hinaus auch noch als Professor anerkannt zu werden, und er daher keineswegs entbehrlich sei. »Auch wenn Eginhard inoffiziell schon den Doctorgrad hat, wäre es unverzeihlich, wenn er den letzten Teil seines Studiums nicht beenden würde. Pater Alfons benötigt Eginhard im claustrum infirmarium , wo er ein letztes Semester damit verbringen wird, die Praxis im Umgang mit Kranken, Verletzten und Siechen zu erlernen. Seid also vernünftig und lasst Euren Sohn noch eine Weile hier«, bat Plazidus Vigell und erfuhr dabei unerwartete Unterstützung durch Nepomuk, der einen Vorschlag unterbreitete, von dem der Abt allerdings ganz und gar nicht begeistert war: »Ulrich … «,

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