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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Eiern! Sonst räuchern wir euch aus!«
    »Recht hat er: Wir fackeln euch ab«, schrie zum Entsetzen des ›Paters‹ nun derjenige, der schon zu Anfang dieser unglaublichen Aktion davon gesprochen hatte.
    So langsam dämmerte es dem skrupellosen Schuhmacher und er begann zu ahnen, was jetzt auf die Juden und ›sein‹ Haus zukommen würde.
     
    *
     
    Lea lehnte immer noch rücklings, heftig schnaufend, zitternd und schluchzend an der Stalltür und hoffte, dass der Spuk endlich vorbei ginge. Aber es knallte schon wieder etwas gegen ihr Elternhaus. Während des Spektakels draußen war sie wie versteinert gewesen und hatte sich nicht bewegen können. Jetzt zuckte sie zusammen. Sie drehte sich um und schlug so fest mit beiden Fäusten gegen die Tür, dass sie darüber ihre Schmerzen vergaß.
    »Lasst uns in Ruhe«, schrie sie verzweifelt. Das ängstliche Kind flüsterte, in ein leises Wimmern übergehend, dann nur noch: »Wir haben euch doch nichts getan.«
    Während sie langsam an der Tür hinunterrutschte und sich dabei etliche Holzsplitter in die Handflächen zog, schlugen ihre Gedanken Purzelbäume. In ihrem kleinen Schädel hämmerte es so dumpf, als wenn ein riesiger Gong geschlagen würde.
    »Die Eier«, schoss es ihr durch den Kopf.
    Ahnend, was sie vorfinden würde, drehte sie – immer noch an der Tür kniend – ihren Kopf ganz langsam in Richtung der umgestürzten Eierregale.
    Lea erschrak über das Chaos, das sie angerichtet hatte. Sie machte sich heillose Vorwürfe und versuchte mit aller Kraft, ihre Gedanken zu sortieren. Momentan fiel ihr aber nichts Besseres ein, als zu versuchen, die einzelnen Teile des Regals aufzuheben. Dabei registrierte sie nicht, dass sie jetzt in einem glibberigen Etwas stand. Auch wenn der Boden nicht so rutschig und sie unverletzt wäre, würde es ihr nicht gelingen, die schweren Regalteile aufzurichten.
    Ihr Vater hatte ein derart stabiles Holzgestell gezimmert, dass es trotz des Einsturzes nicht kaputt gegangen war. Sie freute sich sogar einen Moment darüber, dass sie von ihm deswegen nicht ausgeschimpft werden konnte. Es war aber nicht die Zeit, Vaters Handwerkskunst zu bewundern, geschweige denn, sich über irgendetwas zu freuen. Wie verrückt suchte sie nach heil gebliebenen Eiern, die sie den zunehmend hysterisch schreienden Leuten da draußen würde geben können, damit man sie und ihren Vater endlich in Ruhe ließe. Während sie den Boden vergeblich nach den verflixten Dingern absuchte, rief sie immer wieder nach ihrem Vater … und nach ihrer Mutter. Durch ihr ständiges Flehen glaubte Lea, ihre Mutter herbeibeschwören zu können, was ihr aber nicht gelingen konnte. Erst als sie ein unversehrtes Ei fand, schöpfte sie neue Hoffnung und fahndete eifrig weiter. Als ihr klar wurde, dass nur dieses eine, jetzt ganz besonders wertvolle Ei den Sturz überstanden hatte, hangelte sie sich zwischen den scharfkantigen Arbeitsgeräten und dem Regalverhau über das Chaos auf dem Boden in Richtung Küche, um nach ihrem Vater zu sehen.
     
    *
     
    Draußen spitzten sich die Dinge bedrohlich zu. Mit Entsetzen sah der ›Pater‹, dass Josen Bueb eine Fackel entzündet hatte und drohend in seinen Händen schwang. »Macht das Judenpack nieder! Brennt ihre Bude endlich ab«, schrie er immer wieder, während er mit seiner Fackel zusammengebundene Holzspäne, mit Reisig und Stroh vermischte Knäuel und was die anderen auf die Schnelle sonst noch so alles zusammengebastelt hatten, in Brand steckte.
    »Haltet ein! Denkt an die Eier«, versuchte der Schuhmacher immer wieder, die mordlüsterne Meute zu bremsen.
    »Denkt nicht an die paar Eier, sondern daran, dass diese Mistjuden schuld daran sind, dass wir die Pestilenz im Dorf haben und dass es uns deswegen so schlecht geht! Räuchert sie aus und vertreibt sie aus Staufen«, schrie Josen Bueb, der dafür mit grölendem Beifall bedacht wurde.
    Was der widerliche Lederer Hemmo Grob auch versuchte, um das Haus zu retten – es nützte nichts und all seine Beschwörungen liefen ins Leere. Als er dazu noch einen Schlag ins Gesicht bekam, wusste er endgültig, dass er ›sein‹ Haus nicht mehr würde retten können. Es war vorbei.
    »Neiiin«, schrie er entsetzt, als er die erste Fackel gegen das Bomberg’sche Anwesen fliegen sah. Dadurch spielte er sich in der Wahrnehmung der anderen letzlich als Retter auf, was ihm zusätzlich einen äußerst schmerzhaften Fausthieb einbrachte.
     
    *
     
    Lea indessen kümmerte sich wieder um die Kopfwunde

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