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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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ihres Vaters. Die Freude darüber, dass diese kaum noch blutete, half ihr, die eigenen Schmerzen zu unterdrücken. Über ihren stark blutenden Oberarm band sie notdürftig ein Stück Leinen, das sie mit der anderen Hand und den Zähnen verknotete. Jakob Bomberg war immer noch besinnungslos. Lea glaubte, es sei ein gutes Zeichen, kein laufendes Blut mehr zu sehen, … auch wenn ihr Vater mittlerweile kalkweiß geworden war. Sie versuchte tapfer, ihm zu helfen, wusste aber immer noch nicht, wie. So kniete sie sich neben seinen Kopf, den sie mit einem Arm umschlang.
    Mit der anderen Hand streichelte sie abwechselnd zart seine Hände und fuhr ihm vorsichtig über die blassen Wangen und die blutverklebten Haare, zwischendurch spielte sie fast selbstvergessen mit seiner Haarlocke, die jeder männliche Jude als äußeres Zeichen seiner Religiösität trug. Den Lärm draußen hörte sie schon fast nicht mehr. Sie war einfach glücklich darüber, dass Papas Wunde nicht mehr blutete. »Jetzt wird alles wieder gut«, glaubte sie, ihren geliebten Vater trösten zu können.
    Irgendwann hörte sie ein Knistern, das sie aber erst beachtete, als sie den Rauch bemerkte. Während sie ängstlich um sich blickte, um zu ergründen, woher es kommen mochte, fiel ihr Blick auch nach oben. An einer Stelle hatte sich das Feuer schon so weit durch das Dach durchgearbeitet, dass sie die Flammen sehen konnte. Obwohl sie noch nicht wusste, dass das Stroh um und um voller größer werdender Brandherde war, rüttelte sie ihren Vater. »Papa! Papa! Wach auf!« Dass es brannte, flüsterte sie gerade so, als wenn sie ihn vor der Wahrheit schützen, es ihm zwar sagen, irgendwie aber doch verheimlichen wollte.
    Wie schon ganz zu Anfang dieser menschenverachtenden und sinnlosen Aktion, versuchte sie, ihn wegzuziehen. Dieses Mal allerdings nicht in die elterliche Schlafkammer, sondern nach draußen. Aber das Spiel war das gleiche wie zuvor: Ihr Vater war zu schwer, sie konnte ihn nicht bewegen.
    Als das zunächst leise Knistern bedrohlich in ein laut knackendes Prasseln überging und weitere unheimliche Geräusche dazukamen, blickte Lea wieder nach oben. Dort zeigte sich jetzt ein zweites Brandloch, das durch sein Größerwerden mit dem ersten Loch zusammen aussah, als wenn ein Ungeheuer langsam, aber unaufhaltsam seine glühenden Augen öffnen würde. Als es an einer Stelle richtig laut zu krachen begann und ein paar Balken der einfachen Dachkonstruktion herunterstürzten, rannte sie zur Tür, um Hilfe zu holen.
    Sie war sicher, dass die Menschen da draußen nicht so böse sein konnten, sie und ihren Vater bei lebendigem Leibe verbrennen zu lassen.
    Während sie die Tür zu öffnen versuchte, rief sie laut um Hilfe. Aber draußen war das Feuer schon weiter fortgeschritten als drinnen. Das Vordach war in seiner ganzen Länge heruntergebrochen und versperrte, wütend prasselnd, den Ausgang.
    Ich Dummerle. Die Stalltür!, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf.
    Während sie von der Haustür weg an ihrem Vater vorbeirannte, rief sie ihm zu, dass alles gut werden und sie Hilfe holen würde. Um aber dorthin zu gelangen, musste sie denselben Weg wie zuvor nehmen. Sie riss einen Fetzen von ihrem Kleidchen ab und umwickelte damit vorsichtig das Ei, bevor sie sich abermals auf den Weg durch das verwüstete Haus machte. Als das unglaublich mutige, aber immer schwächer werdende Mädchen endlich alle Hindernisse überwunden hatte und, mit nur wenigen Blessuren mehr, bei der Stalltür angelangt war, musste es allerdings feststellen, dass auch dort ein Teil des brennenden Daches lag und drohend vor sich hin zischte. Da sie die Tür nur zwei Handbreit nach außen zu drücken vermochte, konnte sie lediglich durch den schmalen Schlitz versuchen, die Aufmerksamkeit der Menschen da draußen zu erwecken, indem sie das Ei, ihren momentan einzigen Halt, hinaushielt.
     
    *
     
    Die Brandleger hatten gehofft, durch ihre Rache innere Befriedigung für das, was ihnen die Juden scheinbar angetan hatten, zu verspüren. Aber die wenigsten von ihnen spürten jetzt überhaupt etwas. Es wollte nicht einmal das Gefühl von Genugtuung aufkommen. Sie empfanden nicht mehr den geringsten Groll gegen ihre jüdischen Mitmenschen. Weshalb auch? Die Bombergs hatten ihnen zu keiner Zeit etwas Böses getan, eher im Gegenteil!
     
    Jetzt standen sie schon eine ganze Weile tatenlos vor dem lodernden Gebäude und stellten fest, dass sie mit gemischten Gefühlen zu kämpfen hatten und ihre

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