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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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hinuntergegangen zu sein und den Ort genauer erkundet zu haben. Im Nachhinein betrachtet, würde sich die Schande, als verweichlichter Aristokratensohn oder als ›Händchenhalter‹ zu gelten, vergleichsweise harmlos zu dem ausnehmen, was ihn jetzt erwarten dürfte, wenn er nicht schleunigst ein sicheres Versteck fände – oder noch besser, nach Hause käme. Aber Lodewig wusste, dass er es nicht bis zum Propsteigebäude zurück, geschweige denn bis zum Schloss schaffen würde. Also musste ein Unterschlupf her.
     
    Zum Glück hatte der Mann nicht nur damit zu tun, seine Kapuze zu richten, sondern musste auch noch seine Stichwaffe suchen, die er im Gerangel verloren hatte. Dadurch gewann Lodewig etwas Zeit, sich umzublicken und sich für eine Richtung zu entscheiden. So rannte er in den Unterflecken. Da der Unbekannte gesagt hatte, dass er ihn jetzt endlich habe, schloss Lodewig daraus, dass ihn der Mann kannte und wusste, dass er der Sohn des gräflichen Schlossverwalters war.
    Also weiß er auch, dass ich im Schloss wohne, vervollständigte Lodewig seine Erkenntnis.
    Er hoffte, von seinem Verfolger in dieser Richtung gesucht zu werden, um im Schutze des Nebels in die andere Richtung fliehen und sich ein Versteck suchen zu können. Da er dringend seine Wunden lecken musste, setzte er alles daran, möglichst schnell und weit wegzukommen. Also versuchte er, zur Nordseite des Dorfes zu gelangen, obwohl er im Augenblick nicht wusste, wo er sich dort verstecken könnte. Die magere Besiedelung des vor ihm liegenden Unterfleckens bot ebenso wenig Schutz wie der Marktplatz, den Lodewig gerade überquerte, als er ein wüstes Fluchen hinter sich hörte. Er blickte sich immer wieder ängstlich um, sah aber wegen des Nebels nichts.
    Wenigstens kann ich auch nicht gesehen werden, hoffte er, während er mitten auf dem Platz stehen blieb, weil er sich, schwer schnaufend, schon wieder für eine Richtung entscheiden musste.
    Links zum Ort hinaus oder rechts zur Dorfmitte?
    In Blickrichtung befanden sich leicht rechts vor ihm liegend nur noch die verkohlten Reste von Bombergs Haus und gleich dahinter der Seelesgraben. Und direkt jenseits des Baches standen nur drei Anwesen. Andere rettende Behausungen gab es dort weit und breit nicht. Er überlegte, ob er bis zu dem fließenden Gewässer rennen und sich in dessen Ufergeäst verstecken sollte, verwarf diesen Gedanken aber aufgrund der Kälte sofort wieder.
    »Also links! … Oder doch lieber nach rechts?«, presste er hervor. »Scheiße!«
    Lodewigs Kopf flog hilflos hin und her. Seine Rippen schmerzten, und er musste einen Arm daraufdrücken, um überhaupt noch laufen zu können. Als er hinter sich ein gieriges Schnaufen zu hören glaubte, überlegte er, ob er irgendwo anklopfen und um Einlass bitten sollte. Täte er dies, würde er sich der Gefahr einer Ansteckung aussetzen.
    Wie fragt Vater immer, wenn er die Qual der Wahl hat: ›Pest oder Cholera?‹ Aber ich habe nicht einmal die Wahl, schoss es ihm durch den gemarterten Schädel.
    Da es der Leichtverletzte keinesfalls schaffen würde, bis zum Huberhof außerhalb des Dorfes zu gelangen, eilte er jetzt doch nach rechts in Richtung Dorfmittelpunkt und hämmerte verzweifelt an mehrere Haustüren. Sie blieben allesamt verschlossen, kein Mensch antwortete ihm.
    Vielleicht kann mir niemand öffnen, weil alle tot sind?, fürchtete er.
    Seine Urangst war längst in eine lähmende Todesangst übergegangen. So war es kein Wunder, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Aber irgendwann schien der Knoten doch noch geplatzt zu sein. Lodewig wusste nicht, wie lange er, wie zum Abschuss freigegeben, mitten im Goißgässle gestanden hatte, bis ihm der rettende Gedanke gekommen war. Waren es nur Bruchteile von Augenaufschlägen oder bange Minuten?
    »Das Loch«, rief er plötzlich laut, und hielt sich spontan selbst den Mund zu, während sich seine Augen wieder hastig durch den Nebel gruben.
     
    Dank seiner guten Konstitution gelang es ihm trotz der Verletzungen, sich bis zum Bomberg’schen Anwesen zu schleppen und sich in das offen stehende Lebensmittelloch zu rollen. Schnell zog er ein paar verkohlte Bretter auf den Verschlag, bevor er den Deckel über sich schloss. Krampfhaft versuchte er, sein Schnaufen zu drosseln, obwohl er sich ein paar große Holzspreißel eingezogen hatte, die ihm ziemliche Schmerzen verursachten. Jetzt rasten ihm die Gedanken durch den Kopf, die er vorhin so dringend gebraucht hätte. Lodewig analysierte

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