Der Peststurm
sah. Keuchend nach Luft ringend, sank er auf die Knie. Dabei hörte er ein Geräusch, das ganz offensichtlich mit dem Windhauch zu tun hatte, den er hinter sich spürte. Wahrscheinlich konnte er den Hauch nur wahrnehmen, weil er kein Wams anhatte. Lodewig fröstelte. Er fuhr herum und sah gerade noch einen wallenden schwarzen Umhang im Dunkel eines Hinterhofes verschwinden. Entgegen seiner inneren Stimme, die ihn gut vernehmbar warnte und an seine kleine Familie denken hieß, war er schon wieder neugierig geworden und tastete sich, seinen Vorsatz vergessend, langsam an der Mauer entlang in den Hinterhof, um nachzusehen, wer sich unter dem Umhang verbarg. War es der Frauenschänder von vorhin?
Den Hof umgab ringsum eine bröckelnde Steinmauer, hinter der schemenhaft ein paar an der Mauer klebende Häusergiebel hervorlugten. Dieser unheimlich wirkende Platz schien den gesamten Nebel dieses Spätnachmittags eingefangen zu haben. Als ihn die Dunkelheit dieses geheimnisvollen Ortes fast schon verschluckt hatte, blieb Lodewig stehen, um zu lauschen. Seine innere Stimme mahnte ihn unüberhörbar, sofort das Weite zu suchen. Sie wisperte ihm sogar ins Ohr, dass er um sein Leben bangen müsse, wenn er jetzt nicht schleunigst den Rückzug antreten würde. Aber die Neugierde gebot dem mutigen jungen Mann zu bleiben und die Sache zu ergründen – dagegen kam er einfach nicht an.
Es war still und Lodewig hörte nur sein eigenes hastiges Schnaufen, das ihm in diesem Moment vorkam, als wenn es nicht zu ihm gehörte.
Als es hinter einer großen Holztonne schepperte, drehte er sich in diese Richtung, verharrte abermals und blickte sich mit weit aufgerissenen Augen nach allen Seiten um. Er brauchte seinen ganzen Mut, um sich langsam in Richtung des nur konturenhaft sichtbaren Gefäßes zu schleichen. Dort wartete er so lange, bis sich seine Angst etwas gelegt hatte und er die angehaltene Luft einigermaßen langsam und leise aus seinen Lungen entweichen lassen konnte.
Vorsichtig lugte er hinter die Tonne und warf sie um. Während er dies tat, fauchte etwas und sauste an ihm vorbei.
»Puhhh«, stieß er erleichtert aus. »Merkwürdig! Mit der Tonne habe ich wohl das letzte brauchbare Holz in Staufen aufgestöbert … und die einzig überlebende Katze«, sagte er laut, um sich selbst die immer noch nicht ganz abgeklungene Angst zu nehmen.
»Nicht nur das«, hörte er, während er von der Seite gepackt und unsanft zu Boden geschleudert wurde. »Endlich hab’ ich dich!«
Lodewig glaubte, diese Stimme schon einmal gehört zu haben. Da sich die dunkle Gestalt wie wild auf ihn stürzte, blieb ihm aber keine Zeit, sich Gedanken über den Besitzer dieser krächzenden Stimme zu machen. Schon hatte der Geheimnisvolle Lodewig auf den Rücken gedreht und sich auf seinen Bauch gesetzt.
»Was wollt Ihr von mir? … Lasst mich gehen«, bettelte Lodewig, den der Mut verlassen hatte und dem jetzt die Angst im Gesicht stand. Er begriff noch nicht, was los war.
Aber der Mann hatte offensichtlich nicht vor, sich mit ihm zu unterhalten, sondern schlug stattdessen brutal mit seinen Fäusten auf ihn ein, bevor er ihm mit einer Hand die Gurgel zudrückte, während er mit der anderen einen Dolch zog. Lodewig sah die Klinge aufblitzen und erkannte, dass er in allerhöchster Gefahr schwebte. Obwohl er stark angeschlagen war, wehrte er sich mit aller Kraft und versuchte, sich aus dem Würgegriff zu lösen. Als er dabei seinem Gegner die Kapuze übers Gesicht ziehen konnte, gelang es ihm sogar, sich freizustrampeln und kurz die Oberhand zu gewinnen.
Hastig blickte er sich um, riss sich los und stolperte davon. Nur mühsam schaffte er es, sich so weit aufzurichten, dass er wenigstens einigermaßen aufrecht rennen konnte. Er wollte schnellstens weg von diesem garstigen Ort. Aber er traute sich nicht, den Weg, den er gekommen war, zurückzugehen. Somit wusste er im Moment nicht, wohin. Brach jetzt die ganze Strafe Gottes wegen kleiner Fehlbarkeiten in seiner Kindheit über ihn herein? Wenn der umhütete Sohn des Kastellans in früheren Jahren ausgebüchst war, hatte er sich nicht von irgendeinem neidischen Schandmaul verpfeifen, geschweige denn von seinem Vater erwischen lassen wollen. Deswegen hatte er seine Abenteuer meistens auf dem Kapfberg oder dem Staufenberg gesucht anstatt im Dorf unten. Dementsprechend schlecht kannte er sich in den hinteren Winkeln seines Heimatdorfes aus. Er wünschte sich, als Kind öfter an Mutters Hand ins Dorf
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