Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
und verstreut worden waren, sah aber keine einzige Katze, geschweige denn einen Hund. Wie auch? Die Letzten ihrer Gattung, die nicht in irgendwelchen Kochtöpfen gelandet waren, vermoderten jetzt in der Kirche.
    Dafür wimmelte es überall von Ratten, die auch hier ungeniert an den Leichen herumnagten. Als er all dies sah und ihm auch noch der mittlerweile bekannte Gestank in die Nase stieg, musste sich Lodewig übergeben. Während er sich den Mund abwischte und weiterging, achtete er sorgsam darauf, wo er hintrat und dass er nichts berührte. Wenn man die toten Körper und die menschlichen Einzelteile außer Acht ließ, könnte man fast sagen, die Straßen und Wege Staufens waren so sauber wie noch nie. Jedenfalls lagen keine Küchenabfälle herum. Der Sohn des Kastellans blickte nach oben und stellte fest, dass aus kaum einem Kamin Rauch hochstieg. Er sah, dass es in ganz Staufen keinen einzigen Zaun mehr gab.
    Natürlich wusste er, dass die Nussbaumstecken und die Schwertlinge, aus denen die Gartenzäune gefertigt worden waren, längst als Brennholz gedient hatten oder zu Jagdwaffen umgebaut worden waren.
    In einer Seitenstraße sah er einen Mann gewaltsam durch ein Fenster in ein Gebäude eindringen.
    Lodewig, misch dich nicht ein, gab er sich selbst einen guten Rat, als er an anderer Stelle auch noch zwei Frauen beobachtete, die eine Leiche in ihre Behausung zogen. »Ekelhaft«, entfuhr es ihm.
     
    Etwas später hörte er aus dem Dunkel einer schmalen Gasse ein erbärmliches Geschrei. Er blieb stehen und lauschte. Jetzt konnte er nur noch ein bemitleidenswertes Wimmern vernehmen. Als er langsam darauf zuging, sah er gerade noch, wie sich ein großer, kräftiger Mann Bruche und Beingewandung hochzog und davonrannte. Da dieser dabei den Kopf nach unten gesenkt hielt, konnte Lodewig nicht erkennen, wer es war.
    Eine junge Frau, deren Kleid total zerrissen war, lag direkt vor ihm auf dem Boden. Als die Halbnackte den jungen Mann erblickte, streckte sie flehend eine Hand nach ihm aus. »Edler Herr … Helft mir«, hauchte sie kaum verständlich.
    Lodewig wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Einerseits war er dazu erzogen worden, stets zu helfen, wenn Hilfe benötigt wurde. Andererseits hatte er seinen Eltern hoch und heilig versprechen müssen, mit nichts, aber auch gar nichts in Berührung zu kommen. Trotzdem beugte er sich zu dem bedauernswerten Geschöpf hinunter. So nahe, dass sie ihre Finger in sein Wams klammern konnte und ihn langsam zu sich herunterzog, während sie ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte und etwas zu sagen versuchte. Erst als das Leben aus ihr wich, entkrampften sich ihre Finger und sie sackte zu Boden.
    Geistesgegenwärtig riss er sich das Lederwams vom Körper, womit er sie bedecken wollte. Um gleichzeitig die weit geöffneten Augen, die ihn immer noch flehentlich anzustarren schienen, und ihre entblößte Scham verhüllen zu können, musste er etwas am Wams herumzupfen, weswegen er sich für das ungewollt Gesehene rein vorsorglich beim Herrgott entschuldigte.
    Mehr konnte der junge Mann nicht mehr für sie tun. Aber er hatte sein Wams nicht nur ausgezogen, um es über die Leiche zu legen – vielmehr hatte er sich dessen schnellstens entledigen wollen, weil sie es berührt hatte, bevor sie gestorben war. Immerhin wusste Lodewig nicht, ob sie an dem, was ihr der Mann angetan hatte, verstorben oder zufällig gerade jetzt der Pest erlegen war.
    Um Gottes willen, schoss es ihm durch den Kopf. Hoffentlich hat mich ihr stinkender Atem nicht angesteckt.
     
    Lodewig wandte sich angeekelt ab und entfernte sich ein ganzes Stück. Er riss sich das Tuch vom Gesicht und versuchte mit ganzer Kraft, das womöglich eingeatmete Böse auszuspucken. Dabei hatte er das Gefühl, den Pesthauch des Todes mit all seiner Kraft eingesogen zu haben und nicht mehr loszuwerden.
    Nach diesem Erlebnis sollte seine Abenteuerlust eigentlich für einige Zeit gestillt sein. Momentan hatte er auch genug von seinem Ortsrundgang und schüttelte sich angewidert. Er fühlte sich schmutzig und wollte einfach nur noch nach Hause, um schnellstens den Rest seiner Gewandung loszuwerden und sich von Kopf bis Fuß zu waschen.
    Außerdem würde er seinem Vater vom abscheulichen Zustand des Kircheninneren und von der toten Frau Bericht erstatten müssen. Dabei wusste er noch nicht, wie er seiner Mutter beichten sollte, dass er sein kostbares Lederwams dort gelassen hatte.
     
    Lodewig rannte so lange, bis er das Propsteigebäude

Weitere Kostenlose Bücher