Der Peststurm
Geschichte zwar nicht von Anfang an, aber ab einem gewissen Punkt wahrheitsgemäß zu erzählen, zumindest, was seinen Sohn anbelangte. »Baltus … «
Er strich seinem Sohn sanft übers Haar. »Baltus hat dieses Wams gefunden und mit nach Hause gebracht. Wie ihr alle wisst, ist mein Sohn … «, der Schmied schluckte, »zwar von einfachem Gemüte, könnte aber niemandem etwas antun.«
Da allgemein bekannt war, dass Baltus ein aggressiver Raufbold und zudem äußerst wechsellaunig war, lachten alle lauthals.
»Seid ruhig! Lasst den Schmied weitererzählen«, beschwor Melchior die Umstehenden, zu denen sich aufgrund des Geschreis mehr und mehr auch diejenigen, die sich auf dem Marktplatz oder sonst wo getroffen hatten, dazugesellten.
»Als Baltus das Wams nach Hause brachte, war ich erschrocken und habe ihn gefragt, wo er es gestohlen hat. Er konnte mir glaubwürdig versichern, dass er es in einer Gasse gefunden habe, und hat mich sogleich dorthin geführt.«
»Und was war dort?«
Der Schmied senkte den Kopf, bevor er leise weitersprach. »Das Wams muss wohl auf der Leiche einer Frau gelegen haben … Stimmt das, Baltus?«
Obwohl der Sohn eifrig nickte, konterte Melchior: »Das glaube ich Euch nicht!« Er deutete auf Baltus, der schon wieder zusammenzuckte. »Dies hier ist das Wams eines uns allen als ehrenhaft bekannten Mannes. Es gehört Lodewig Dreyling von Wagrain!«
Am aufkommenden Gemurmel der Leute erkannte der Schmied, dass er sich diese Aussage würde zunutze machen können, und schrie jetzt ganz laut: »Dann ist das doch der Beweis, dass Lodewig mit dem Tod der Frau etwas zu tun hat und deswegen geflohen ist!«
Aber dieser Anflug eines Hoffnungsschimmers half ihm nichts und verflog so schnell, wie er gekommen war. Bevor sich wieder einmal mehr des Volkes Zorn entladen und sich die Menschenmenge ein neuerliches Urteil bilden konnte, schritt Melchior ein und hielt eine flammende Rede, die zu dem Schluss führte, dass Lodewig jetzt nicht hier sei und sich dementsprechend auch nicht verteidigen könne, dafür aber der Schmied und sein Sohn nachweislich im Besitz von dessen Wams wären, das sie auf einer Toten gefunden haben wollten.
»Was sollen wir also tun?«, stellte er die Frage und gab auch gleich die Antwort. »Da Herr Dreyling von Wagrain nicht da ist, weil er Lodewig sucht, und wir ebenfalls einen Suchtrupp bilden sollten, haben wir im Augenblick andere Probleme, als gerade jetzt den jungen Herren zu verdächtigen. Ich schlage vor, dass wir Vater und Sohn Vögel zum Schloss hochbringen und dort so lange verwahren, bis der Kastellan zurück ist. Der Schlossverwalter des Grafen, der zudem unser Ortsvorsteher ist, kann später entscheiden, was dann mit den beiden zu geschehen hat.«
Obwohl das Volk gerne noch an Ort und Stelle einen Schuldigen für den Tod der Frau ausgemacht hätte, war man mit Melchiors Vorschlag einverstanden.
»Den können wir später auch noch hängen sehen«, tuschelte derjenige, der erst vor Kurzem beim Kastellan erfolglos um Arbeit gebeten hatte, seinem Nachbarn ins Ohr, bekam aber statt dessen Zustimmung einen Ellbogen in die Rippen.
Bevor Melchior mit Hilfe eines Nachbarn Baptist und Baltus Vögel die Hände zusammenband, entschuldigte er sich bei den Anwesenden dafür, dass er sich zum Wortführer aufgeschwungen habe, dies aber aufgrund des ungetrübten Verhältnisses zwischen den Untertanen des Grafen und der Familie des Kastellans, die immerhin das Bindeglied zum Herrscherhaus sei, geboten war. »Wir wollen es uns doch nicht schon wieder mit dem Grafen verscherzen und ein neuerliches Marktverbot riskieren – oder?« Seine Bescheidenheit und sein besonnenes Handeln zum Wohle der Allgemeinheit quittierten die Umstehenden mit Beifall.
Während sich Vater und Sohn Vögel in Anbetracht der Menschenmenge zwar protestierend, aber wehrlos binden ließen, rief Melchior diejenigen zu sich, die sich zuvor schon dazu bereit erklärt hatten, bei der Suche nach Lodewig mitzuhelfen. Er teilte seine Altersgenossen in vier Trupps mit je zwei Mann ein und schickte drei Suchtrupps in verschiedene Richtungen. Er selbst wollte zusammen mit seinem Partner die Vögels zum Schloss geleiten, um sicherzustellen, dass diese dort auch ankamen. Danach wollten sie sich den Kapfwald vornehmen, um dort nach seinem besten Freund zu suchen.
Kapitel 48
»So, jetzt reicht es aber mit unserer Pause. Lass uns nach Staufen hoch gehen und die anderen fragen, ob sie eine Spur entdeckt oder Lodewig
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