Der Peststurm
fischte sein Geld aus der Hosentasche, um es zwischen seine Finger gleiten und in der Sonne glitzern zu lassen.
Als das Kreuz fertig war, legte er um das Grab der Werkzeugmacherin sogar Steine, die er aus dem Weißachbach geholt hatte. Jetzt musste er nur noch mit einem Steinbrocken das Kreuz in den Boden rammen, um hier endlich und endgültig Feierabend machen zu können.
*
Das dumpfe Geräusch, das Fabio dadurch verursachte, war auch innerhalb der kleinen Pestkapelle zu hören. Zumindest glaubte Lodewig, der wohl deswegen gerade wieder einmal für ein paar Momente aus seiner Besinnungslosigkeit erwacht war, etwas gehört zu haben. Obwohl er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte und nicht wusste, ob dort draußen etwas vor sich ging, versuchte er zu schreien, brachte aber keinen hörbaren Laut heraus, geschweige denn einen Ton, der durch die dicke Kapellenmauer zum Pestfriedhof hinausdringen konnte. Es war hoffnungslos.
Dem Gepeinigten fiel nichts dazu ein, wie er die Aufmerksamkeit da draußen auf sich lenken könnte.
*
Fabio benötigte ›das Dutzend des Teufels‹, also genau 13 Schläge, um das Feldkreuz so tief einzuschlagen, dass es auch dann noch stehen würde, wenn sich der Werkzeugmacher irgendwann auf den Friedhof traute, um das Grab seiner Frau zu besuchen. Er wäre dann der Einzige, der den Platz, an dem eine verstorbene Angehörige begraben worden war, würde finden können. Um möglicherweise aufkommendem Aberglauben entgegenzutreten und dafür zu sorgen, dass seiner hoffnungsvollen Zukunft nichts im Wege stehen würde, schlug der junge Mann noch ein vierzehntes Mal auf das Kreuz. »So, das hält! … Und der Teufel lässt mich in Ruhe.«
Während er im letzten Schein der untergehenden Sonne zufrieden seine Arbeit begutachtete, fröstelte es ihn, obwohl er in Schweiß gebadet war. Fabio wusste, dass ihm eine der typischen winterlichen Erkrankungen drohte, wenn er sich nicht schleunigst auf den Heimweg machte.
Heute Nacht schneit es sicher wieder, dachte er und warf die Schaufel mit fröhlichem Schwung auf den Karren.
Aber bei seinen Gedanken an die bevorstehende Kälte der kommenden Monate fiel ihm der letzte Winter ein. Er erinnerte sich nur allzu gut daran, wie er von Josen Bueb, dem ›Pater‹ und anderen Häschern bis zum Wachterhof auf den Kapfberg hinauf gejagt worden war, wo sie ihn beinahe umgebracht hatten. Jetzt plagte ihn die Angst davor, dass diese verblendeten Rohlinge nach Beendigung der Pest ihr letztjähriges Vorhaben erneut anpacken und ihm abermals an den Kragen gehen könnten. Deswegen wollte er sofort nach Immenstadt abhauen, sobald die Sperre der Königsegger Garde aufgelöst wäre. Er freute sich schon auf das hübsche ›Städtle‹, von dem er zwar schon viel gehört hatte, selbst aber nur an der Außenseite des Schollentores, nicht aber innerhalb der gut gesicherten Stadtmauer gewesen war. Durch seine Erfahrung, die er in früheren Jahren in einigen Städten am Bodensee und in Oberschwaben hatte machen müssen, wusste er, dass es dort immer etwas zu ernten gab. Erfahrungsgemäß konnte man in größeren Städten leichter an das Geld anderer Leute kommen, ohne deswegen allzu viel arbeiten zu müssen. Aber stehlen wollte er eigentlich nicht mehr. Das Startgeld für ein neues Leben hatte er sich ja redlich verdient – aus Fabio, dem Dieb, war Fabio, der Arbeitsame, geworden. Bei diesem Gedanken musste er schmunzeln. Jetzt sollte es nur noch darauf ankommen, erhobenen Hauptes von Staufen weggehen zu können und nicht – wie in allen anderen Orten zuvor – vertrieben zu werden. Deswegen kontrollierte er alles noch einmal, schmiss ein paar einzelne Knochen und vergessene Gliedmaßen weit in die umliegenden Wiesen und holte sogar seine Schaufel noch einmal vom Karren, um mit deren Rückseite auf einige der Dreckhaufen zu klatschen, damit die Hügel auf allen Gräbern gleich glatt und dementsprechend gepflegt aussahen.
Jetzt können der Kastellan und der Pfaffe zur Inspektion kommen, dachte er sich, als er seine Schaufel wieder auf den Karren warf.
Dabei überlegte er, dass er den Leichenkarren eigentlich nicht mehr brauchte und er keine Lust mehr hatte, das schwere Teil nach Staufen hochzuziehen – für was auch? Soll ihn der Totengräber doch selbst holen, wenn er ihn braucht, dachte er übermütig.
So zog er den Karren zur wettergeschützten Seite hinter der Pestkapelle und lehnte ihn ordentlich neben die Schaufel an die Wand. Er ging davon
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