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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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aus, dass die restlichen Fleischstücke und Hautfetzen, die noch auf der Ladefläche klebten oder jetzt zusammen mit den Maden herunterfielen, schnell vernichtet sein würden. Damit war seine Arbeit endgültig beendet und er konnte getrost gehen.
    Als sich Fabio ein Stückchen weit entfernt hatte, drehte er sich noch einmal um und betrachtete sein Werk ein letztes Mal. Dabei machte er sich darüber Gedanken, wann wohl eine Mauerumfriedung errichtet werden würde. »Was geht’s mich an? – Ich gehe von hier weg«, sagte er zufrieden zu sich selbst. Wenn er jetzt von Staufen nach Immenstadt, Kempten, oder wohin auch immer, ziehen wollte, konnte ihm dies niemand verwehren. Und nur das zählte. Zum ersten Mal in seinem wilden Leben ginge er als Ehrenmann und würde nicht wie ein Dieb davongejagt werden.
    Irgendwie ein komisches Gefühl, sinnierte er und begab sich pfeifend auf den Heimweg.
     
    *
     
    Lodewig indessen kämpfte immer noch mit seiner Stimme. So sehr er sich auch bemühte; er brachte keinen Laut heraus. Seine Kehle war wie zugeschnürt, Hals- und Rachenraum fühlten sich nicht nur völlig ausgetrocknet an, sondern waren es auch. Wenigstens spürte er den Schmerz nicht mehr. Aber seine Gedanken waren verworren. Außerdem wusste er immer noch nicht, was um die Kapelle herum vor sich ging, fühlte aber, dass er jetzt sofort etwas unternehmen musste, wenn er gerettet werden wollte. Jetzt sofort! Aber was sollte er tun? Er spürte, dass da draußen jemand war und er sich unbedingt bemerkbar machen musste.
    Dass es der Totengräber sein könnte, war Lodewig in diesem Moment egal. Er wollte nur einen Menschen bei sich haben, der ihm einen Schluck Wasser reichen konnte. Auch wenn er es von demjenigen bekommen würde, der ihn in diese ausweglose Lage gebracht hatte.
    Vielleicht erlöst er mich von meinen Qualen, schwirrte es Lodewig mit vorweggenommenem Dank durch den Kopf. »Wasser! Bitte … Wasser«, murmelte er heiser und völlig unverständlich vor sich hin, während er versuchte, sich zusammenzureißen. Mit eisernem Willen gelang es ihm, seine verquollenen Augen wenigstens etwas zu öffnen. Er nahm alle Kraft zusammen und hob seinen Kopf, um die Kapelle einmal mehr nach rettenden Gegenständen oder nach was auch immer abzusuchen. Dabei sah er zunächst nur leere Wände, die, wie aus einem Schattenreich kommend, in verschwommenen Streifen vor ihm herumtanzten. Die ganze Kapelle schien sich ihm zu Ehren in ein wohltuendes Weiß gehüllt zu haben. Lodewig packte ein wärmendes Glücksgefühl, als sich die Kapellentür öffnete und ein gleißender Lichterkranz eindrang. Sein tranceähnlicher Zustand ließ es nicht mehr zu, zwischen Wahrheit und Traum zu unterscheiden. Er konnte nicht mehr realisieren, dass es nur ein Trugbild war, das ihm das vorgaukelte, was er jetzt zu sehen glaubte.
    Im Lichterschein sah er die kleine Lea eintreten. Sie war zwar bleich im Gesicht, aber wunderhübsch anzusehen. Sie streute weiße Blumen und hatte ein weißes Blumenkränzlein auf dem Kopf. Bei ihr war Didrik, der jüngste Sohn des Blaufärbers, dem die dreckig braune Gewandung in Fetzen herunterhing und dessen tiefe und rabenschwarze Augenhöhlen sich vom allgemein schmeichelnden Weiß abhoben.
    Hinter den beiden betrat Sarah die Kapelle. Sie war zwar ebenfalls kreideweiß im Gesicht, aber so schön, dass es schien, als wenn sie aus einem Zauberland kommen würde. Sie war in ein weißes, spitzenbesetztes Tuch gehüllt und hatte ihre seidenen Haare zu einem Kranz, der ihr zartes Haupt krönte, geflochten. Dazwischen steckten weiße Blüten. Sarah nahm ihren weißen Blumenstrauß in eine Hand, damit sie die andere Hand frei hatte, um sie ihrem Geliebten entgegenzustrecken. Lodewig wollte zu ihr und brachte es tatsächlich fertig, sie zu rufen: »Sarah! … Sarah! Ich lie … «
    Während sich Fabio draußen umdrehte, weil er glaubte, jemanden rufen gehört zu haben, verschwand Lodewigs Trugbild so schnell wieder, wie es gekommen war. Sein Kopf wurde abermals schwer und sank nach unten. Einer besonderen Haltetechnik, die sich Lodewig angeeignet hatte, war es zu verdanken, dass der Kopf nicht ganz nach unten sackte, was tragische Konsequenzen gehabt hätte.
    Er hatte jetzt nur noch Didriks knöchernen Totenschädel und das unter der zerschlissenen Gewandung hervortretende Gerippe vor Augen. Lodewig erblickte vor sich wieder die zertrümmerten Teile der beiden Holzfiguren, hob verängstigt nochmals sein Haupt und glaubte jetzt,

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