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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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private Fehden untersagt hatte, waren ordentliche Gerichte anstelle von Sühnestrafen getreten.
    »Hoffentlich ist dieses Kreuz kein böses Omen für unsere religionsübergreifende Liebe?«, hatte Lodewig befürchtet, als er mit Sarah zum ersten Mal hierher gekommen war, diese Sorge aber schnell beiseite geschoben, als sie im Heu neben ihm gelegen war.
    Er kannte den Heustadel und die Geschichte des steinernen Sühnesymboles seit seiner Kindheit. In strengen Wintern hatte er seinem Vater oftmals helfen müssen, von hier aus Heu für das hungernde Rotwild zu verteilen. Dadurch wusste er auch, dass der Stadel um diese Jahreszeit nicht benötigt wurde und niemand hierher kam. Erst wenn man im Frühsommer wieder Schafe und Geißen austrieb, würde der Stadel den Hirtenbuben und das Vordach den Tieren als Schlechtwetterunterschlupf dienen. Obwohl es der Sonne zwar noch nicht gelang, ihre ganze Kraft zu entfalten, vermochte sie es, den mit Landern gedeckten Holzbau etwas zu erwärmen.
    Damit sie es sich so richtig gemütlich machen konnten, hatte sich Lodewig von zu Hause schon vor längerer Zeit ein paar Schafwolldecken ausgeliehen.
     
    Jetzt lagen die beiden, durch die Decken geschützt, im weichen Heu und streichelten sich zärtlich. Sie wussten, dass die fleischliche Verbindung keine Selbstverständlichkeit war und die immer noch alte Vorstellung herrschte, dass man dem Körper des anderen Geschlechtes – zumindest in der Öffentlichkeit – mit einem gewissen Abstand gegenüberstehen musste. Von der katholischen Kirche aus war die körperliche Liebe schon seit dem 11. Jahrhundert reglementiert und strikt auf die Ehe beschränkt. Öffentliche Regungen der Herzen und freies Ausleben der Fleischeslust waren deswegen immer noch eine schwere Sünde. Davon, dass viele Kreuzfahrer nur deswegen aufgebrochen waren, um sich wahllos Frauen zu nehmen, wollte die Kirche nichts mehr wissen. Wie schon im Mittelalter, war auch jetzt lediglich ein keuscher Blickwechsel gestattet. Wenn der Funke übergesprungen war, durfte der Verliebte vor aller Ohren einen Seufzer von sich geben, um dadurch der Angebeteten seine Liebe zu zeigen. Wenn er dafür ein – für alle sichtbar – zartes Küsschen bekam, war das schon viel. Dementsprechend waren die beiden Verliebten schon längst über’s Ziel hinausgeschossen. Bei Lodewig und Sarah war die Sache von Anfang an etwas anders gelaufen, weswegen beide schon mehrmals von ihren Müttern gerügt worden waren.
    Auch weil sie verschiedener Konfessionen waren, fürchteten gerade Sarahs Eltern eine Erregung öffentlichen Ärgernisses, wenn die beiden ihre Liebe zu offenkundig zeigten. Sie waren froh, dass in dieser zarten Verbindung ihr Spross das Mädchen war und nicht umgekehrt. So konnte wenigstens niemand sagen, dass ein lüsterner jüdischer Knabe ein unschuldiges christliches Mädchen verführt hätte. Andererseits würde es sowieso nichts nützen, wenn ihnen jemand Böses unterstellen mochte. Man könnte immer noch behaupten, dass Sarah den keuschen Sohn des katholischen Schlossverwalters verführt hätte, um in dessen ehrbare Familie einheiraten zu können, damit sie an deren Titel und Erbe gelangen würde. In diesem Fall würde man ihr wahrscheinlich auch noch unterstellen, eine Hexe zu sein. Sarahs Mutter durfte gar nicht an so etwas denken.
    Auch Propst Glatt war ein Verfechter reiner Liebe, die sich seiner Ansicht nach nur in gleichkonfessioneller Ehe finden konnte. Der Beichtvater erfuhr immer wieder von Fehltritten, die er – nach außen hin das Beichtgeheimnis wahrend – über Umwege bestrafte, um die Menschen zu christlicher Moral zu bekehren. Er wusste, dass er nicht nur weiße Schäflein hatte und sie trotz Armut und Hunger die Aufwallungen der Herzen und die Abenteuerlust der Körper besser kannten, als sie dies nach Gottes Gebot sollten.
    »Die reine Liebe, nicht aber Lust und Verlangen, duldet unser Herr«, pflegte er ganz besonders vor und während der Fasnachtszeit zu predigen.
    Während der letzten Fasnacht hätte er sich diese Sprüche allerdings sparen können. Sarah und Lodewig hatten dies sowieso nicht angefochten. Sie liebten sich nicht nur, sie begehrten sich auch. Und da ließen sie sich von niemandem dazwischenreden. So liebten sie sich jetzt gerade so leidenschaftlich, dass Sarahs Schreie über das Tal hallten. Nein, sie wollten sich weder ihre Liebe noch ihre Lust aufeinander nehmen lassen. Außerdem trug Sarah bereits die Frucht ihrer Liebe unter ihrem Herzen.

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