Der Peststurm
ihr kostbares Ei hervorholte und stolz den anderen Kindern präsentierte. Die zeigten sich allerdings wenig beeindruckt, streichelten das Ei auf Leas Geheiß aber trotzdem, obwohl ihre Familien selbst eierlegendes Federvieh in ihren Ställen hatten. Ohne dass Lea etwas sagte, fühlten die Kinder, dass sie dieses Ei nicht mit denen ihrer eigenen Hühner vergleichen konnten, und dass es – zumindest für Lea – etwas ganz Besonderes war. Vielleicht lag die Ehrfurcht der Kinder aber auch nur daran, dass Leas Ei ausgeblasen und bemalt war.
Nachdem die Frauen mit der Küchenarbeit fertig waren, spielten die Kinder fröhlich, und die Erwachsenen saßen bei köstlichem Bodenseewein, den Nepomuk zwar gerne herausgerückt hatte, aber stets sorgsam darauf achtete, dass die zinnerne Kanne nicht zu nahe beim Propst stand, gemütlich zusammen. Wenn es allerdings ums Durststillen ging, war Johannes Glatt erfinderisch: So zog er den Krug zu sich, um scheinbar das ziselierte Wappen derer zu Königsegg genauer zu betrachten. Dies tat er aber nur so lange, bis sein Glaubensbruder abgelenkt war und in eine andere Richtung schaute. Lodewig und Sarah hatten ihren Spaß daran, den Propst dabei zu beobachten, wie er sich hurtig den Becher füllte, bevor Nepomuk dies bemerkte. Und das sollte ihm gerade heute auch vergönnt sein – insbesondere, weil es statt des erhofften Bratens einfachere Speisen gegeben hatte, weswegen der Propst anfangs etwas enttäuscht gewesen war. Erst als Konstanze der illustren Gesellschaft gestanden hatte, dass sie – anstatt das Fleisch selbst zu verarbeiten – Rosalinde ins Dorf hinuntergeschickt hatte, um es unter den – ungeachtet der Kriegsauswirkungen und der Pest – bedauernswertesten zwei Familien Staufens zu verteilen, zeigte sich auch der Kirchenmann gönnerhaft: »Ja, es gibt Menschen, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben möchte, weil sie ihr Unglück selbst verschuldet haben und weil dadurch dem ganzen Ort Schaden zugefügt wurde … «, Johannes Glatt unterbrach kurz, um sich zu bekreuzigen, bevor er das, was er eigentlich hatte sagen wollen, gnädig umwandelte: »… Gott möge ihnen den richtigen Weg weisen … und die gänzlich verarmte Familie Rossick, die ihr Haus verkaufen musste, weil der Hausherr zu sehr dem Alkohol frönt und seelisch äußerst unstabil ist, wird es dir, liebe Konstanze, ebenso danken wie die allseits unbeliebten Baratts, wobei der alte Baratt – seit er nicht mehr in Amt und Würden ist – noch verstockter in seinen Bart hineingrummelt als bisher, weil er im Dorf nichts mehr zu melden hat und die Leute sich jetzt trauen, ihn hinter vorgehaltener Hand zu verspotten«, lobte er Konstanzes Entscheidung. Da das Schicksal dieser beiden Familien in den Wirren des Krieges und der Pestilenz gänzlich untergegangen war und auch jetzt noch niemanden ernsthaft interessierte, hielt sich der Propst nicht länger damit auf und rief stattdessen ein lautes »Zum allgemeinen Wohle!« in den Raum, während er seinen schon wieder gefüllten Becher triumphierend Nepomuk entgegen hielt.
Alle waren zufrieden, die kuschelige Wärme und das warme Raumlicht trugen das Ihrige zum allgemeinen Wohlbefinden bei.
Fabio fühlte sich ganz besonders gut. Er war der unumstrittene Ehrengast der diesjährigen Weihnacht. Zumindest wurde Lodewigs Retter von allen so behandelt. »Vielleicht bleibe ich doch in Staufen«, wandelte er mit zunehmendem Weingenuss sein ursprüngliches Vorhaben, nach Immenstadt oder nach Kempten, möglicherweise auch nach Füssen zu gehen, um. Allerdings würde er sich dann an einige unangenehme Änderungen gewöhnen müssen.
Weder der Kastellan noch die anderen Familienmitglieder konnten es lassen, Fabio ständig Manieren beibringen zu wollen – ein schier hoffnungsloses Unterfangen. Auch mit der Körperpflege hatte er seine liebe Not. Bevor er zum Fest hatte kommen dürfen, war er von Ignaz in den Badezuber gesteckt und von oben bis unten mit einer Wurzelbürste abgeschrubbt worden. Danach hatte ihm der Kastellan geboten, sich von Rosalinde den Schädel scheren zu lassen, um seine lästigen Untermieter loszuwerden. Als sie mit ihm fertig gewesen war, hatte sie Fabio auch noch eine von Lodewigs alten Gewandungen verpasst.
So zurechtgemacht, hätte er richtig gut ausgesehen, wenn er nicht so viele blutverkrustete Stellen auf seinem kahl rasierten Schädel und nicht schon wieder Trauerränder unter seinen Fingernägeln gehabt hätte. Trotzdem schien sich
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