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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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beiden sich nähergekommen.
    Es gibt eben nichts Schlechtes, ohne dass etwas Gutes dabei ist, dachte sich Rosalinde, als sie Ignaz zu seiner Arbeit in die Kälte hinausscheuchte, obwohl sie ihn viel lieber in ihrer Nähe gehabt hätte. Aber der treue Knecht musste Siegbert vertreten. Und wenn er seine Sache als Ersatzburgwache gut machte, würde ihn der Kastellan vielleicht sogar befördern.

Kapitel 60
     
    »Na endlich! Sie kommen«, schrie Ignaz und öffnete mit vor Stolz geschwellter Brust, die er noch mehr aufzuplustern vermochte, seit darunter ein verliebtes Herz pochte, das Tor. Danach brachte er sich in Positur, um einen möglichst guten Eindruck zu schinden. Obwohl er dabei eher so aussah wie ›Don Kichote de la Mantzscha‹, der ›Ritter von der traurigen Gestalt‹, der auch in deutschen Landen vielerorts bekannt war, seit vor vierzehn Jahren der Roman des spanischen Schriftstellers Miguel de Cervantes von einem gewissen Pahsch Basteln von der Sohle ins Deutsche übersetzt worden war. Der Kastellan kannte und mochte den die Ritter des Mittelalters parodierenden Roman, den er von einem Gesandten aus Kastilien bekommen hatte, als dieser auf Einladung des Grafen hier im Schloss weilte, um – in durch die klare Höhenluft klimatisch bester Lage – eine kriegsbedingte Verletzung der inneren Atmungsorgane auszukurieren. Konstanze hatte die Geschichte des verarmten Landadligen, der sich als ›Ritter‹ fühlte und fortwährend gegen Windmühlen kämpfte, des kugelrunden Knappen Sancho Pansa und seines klapprigen Pferdes Rosinante mittlerweile an die zehn Mal gelesen und sich immer wieder aufs Neue amüsiert.
    Der Kastellan merkte sofort, dass es Ignaz darauf angelegt hatte, gelobt zu werden. Da heute Heiliger Abend war, tat er, was von ihm erwartet wurde, und klopfte seinem an diesem heiligen Tag zur Torwache avancierten Stallknecht anerkennend auf die Schulter. Mit »Respekt!« bediente er sich eines Lobes aus dem Wortschatz des Grafen.
    »Heute ist die Nacht Christi Geburt! Die Engel … und Ignaz beschützen uns. Sperrt alles gut ab und kontrolliert später abwechselnd das Tor und die Mauer«, rief er den beiden eigentlichen Schlosswachen zu und gestattete ausnahmsweise beiden gemeinsam, sich an die festlich gedeckte Tafel zu setzen und am Weihnachtsmahl teilzunehmen.
     
    *
     
    Nachdem sich auch Fabio, Ignaz und die beiden Schlosswachen auf Konstanzes Anraten hin frisch gewaschen und sauber herausgeputzt im Rittersaal versammelt hatten, war es die Aufgabe des Kastellans gewesen, ein paar besinnliche Worte an die gutgelaunte Gesellschaft zu richten, trotz Diederichs und Jakobs sinnlosem Tod dem Herrgott zu danken und aufmunternd in die Zukunft zu blicken … obwohl zwei liebe Familienmitglieder zu beklagen waren.
     
    Danach umarmten sich alle gegenseitig und wünschten sich ein frohes und von Gott gesegnetes Weihnachtsfest. Ohne an den Standesunterschied zu denken, drückten sich alle gegenseitig und priesen dabei den Herrn, der dafür gesorgt hatte, dass das Unglück im Schloss und im Dorf unten nicht noch größer geworden war, – aber wie hätte es noch größer werden können? Sie alle hatten Elend genug hinter sich. Und dass Lea überlebt hatte, war schließlich nicht Gott, zumindest nicht ihm allein, sondern in erster Linie Lodewig und Nepomuk zu verdanken gewesen.
    Im Moment sahen sie nur, dass alles Böse und Schlechte gewichen war und es ihnen verhältnismäßig gut ging – zumindest wollten die meisten von ihnen, diejenigen, die es konnten, dies so sehen. Und dementsprechend gut fühlten sie sich. Niemand unter ihnen konnte jetzt die unweigerlichen Tränen des Herzens zurückhalten. Selbst die beiden Kirchenmänner bekamen wässrige Augen, als sie sich hölzern, aber dennoch innig umarmten. Fabio, die Blaufärber und der Weißacher Bauer samt seiner Frau und deren Kinderschar konnten es gar nicht fassen, dass sie so herzlich in diese Gemeinschaft aufgenommen worden waren. Konstanze wirkte wie ausgewechselt. Ihr Kummer schien – zumindest für den Augenblick – wie weggeblasen. Immer wieder streichelte sie Eginhard, während sie den frisch getauften Aurelius so fest im Arm hielt, als wenn sie ihn nie mehr loslassen wollte.
    »Sag mir, Eginhard – warum hast du dir gerade diesen Namen für dein Patenkind ausgesucht?«, fragte der Propst, dessen Gesichtszüge sich beim Gedanken an diesen Namen verkrampften.
    »Warum? Gefällt er Euch nicht? Ich hatte bis zu meiner Ankunft nichts von meinem

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