Der Peststurm
Glück, Taufpate zu werden, gewusst. Somit habe ich lediglich Zeit für diesbezügliche Überlegungen gehabt, während ich mein Patenkind vom Portal zum Taufbecken vorgetragen habe.«
»Aber warum hast du keinen hier bekannten Heiligen gewählt? Das wäre doch naheliegend«, ließ der Propst nicht locker.
»Nein! Verzeiht mir, aber das sehe ich nicht so«, konterte der junge Medicus selbstbewusst.
»Und warum nicht?«
»Weil seine Mutter ursprünglich dem jüdischen Glauben angehört hat, bevor sie nur um des Friedens willen zum Glauben ihres Mannes konvertiert ist, habe ich eine – sagen wir mal – Namensneutralität bevorzugt. Außerdem ist der Vorname Aurelius auch in unserer Region nicht gänzlich unbekannt, … wenn auch nicht unbedingt häufig«, räumte Eginhard ein. Gelassen argumentierte er weiter: »Jedenfalls ist dieser Name auch im Allgäu nicht ganz fremd, obwohl dessen Ursprung nicht von hier ist und auf einen altrömischen Geschlechternamen vorrömischer Herkunft zurückgeht.«
»Immerhin ist er lateinischen Ursprungs«, stand Nepomuk, der das Gespräch mitbekommen hatte, Eginhard bei.
»Weswegen ich ihn gerade noch so gelten lassen kann«, knurrte der Propst. »Du hast Glück gehabt, dass mir angesichts der vielen Menschen, die der Taufzeremonie beigewohnt haben, keine Zeit geblieben ist, dich umzustimmen. Ein heiliger Simpert … oder noch besser, ein Magnus? Ja, das wäre etwas gewesen!«
»Der im zweiten Jahrhundert regierende römische Kaiser Marcus Aurelius hätte sich von dir auch nicht umstimmen lassen«, lachte Nepomuk und drückte dem Propst einen soeben gefüllten Becher in die Hand, um ihn gnädig zu stimmen.
»In der Hoffnung, dass auch im Allgäu künftig wichtige Persönlichkeiten diesen Namen tragen werden, nennen wir ihn kurz und bündig Aurel«, beendete Sarah den Disput.
Mitten unter ihnen saß Lodewig, der dem Gespräch aufmerksam zuhörte, sich aber wegen der Schmerzen kaum bewegen konnte. Zuerst hatten sie ihn mitsamt seiner Lagerstatt in den Rittersaal schieben wollen, dies dann aber doch gelassen. Denn das wäre für Lodewig nicht so bequem gewesen, weil er darin nicht aufrecht hätte sitzen können.
Da sich der Schlitten hervorragend bewährt hatte, war er kurzentschlossen zum bequemen ›Liegesessel‹ umfunktioniert worden und stand jetzt aufgebockt zwischen den Sitzplätzen des Kastellans und seiner Frau an der Kopfseite der großen Tafel. Alle waren glücklich darüber, dass Lodewig dank Fabio und durch Nepomuks medizinische Betreuung dem Schnitter gerade noch über die Sense gesprungen war und dass es ihm jetzt den Umständen entsprechend gut ging, … selbst wenn er noch lange brauchen würde, um zu seiner alten Form auch nur annähernd zurückzufinden. Sie alle wussten, dass er über einen gewissen Zeitraum hinweg dem Tode näher als dem Leben gewesen war, und dankten dem Herrgott für seine Rettung in letzter Minute. Nachdem sie im Gebet auch ihrer verstorbenen Familienmitglieder, insbesondere Diederichs und Jakobs, der Blaufärbersöhne Didrik und Otward sowie all der dahingeschiedenen Staufner gedacht hatten, dauerte es eine gewisse Zeit, bis sich ein Weihnachtsfest, das an eigenwilliger Prägung und Gemütlichkeit kaum überboten werden konnte, entwickelte. Zur Freude aller gab es sogar einen Weihnachtsbaum, den Ignaz im großen Saal, weit weg vom Kachelofen, aufgestellt hatte, damit keine Brandgefahr bestand und er zudem nicht so schnell seine Nadeln verlieren würde. Während sich die anderen in der Kirche aufgehalten hatten, war Rosalinde darangegangen, die Fichte mit silbern und gülden glänzenden Plättchen zu schmücken. Das schöne Ambiente dieses sowieso schon bewundernswerten Raumes, der Weihnachtsbaum, die vielen herrlich riechenden, schimmernden Kerzen, bei deren Duft nichts mehr an den schier unerträglichen Gestank der letzten Monate erinnerte, die festlich gedeckte Tafel und überhaupt die feierliche Atmosphäre brachten die Augen aller zum Leuchten. Gerade die braven Bauersleute aus Weißach, die Blaufärber und Fabio fühlten sich wie im Himmel und genossen diese Weihnacht ganz besonders.
Nach Beendigung des einfachen, dennoch köstlichen und reichhaltigen Festmahles räumten die Frauen gemeinsam den Tisch ab, die Männer saßen gemütlich zusammen und die sieben Bauernkinder tollten mit Lea durch die herrschaftlichen Räume. Dass die Kleine ihr entsetzliches Erlebnis immer noch nicht vergessen hatte, wurde offenkundig, als sie
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