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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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ihm über den Weg huschten. Erwischte er eines von den Tieren – was selten genug vorkam – , schienen ihn andere zu verspotten, indem sie sich nicht einmal davor scheuten, seine Beingewandung hochzukrabbeln.
    Gerade die Ratten waren überall und schienen die Angst vor den Menschen zunehmend zu verlieren. So war ihr Kot nicht nur in den Gassen, Scheunen und Ställen, sondern auch in den Wohnräumen zu finden. Wehe dem, der seine spärlichen Essensvorräte nicht gut abgedeckt hatte. Ratten waren nicht nur wahre Spezialisten auf dem Gebiet des Überlebens und der Anpassung, sondern auch überaus fruchtbar. Da sie erst im März und April geworfen hatten, waren es zurzeit besonders viele Plagegeister, die der Landbevölkerung das Leben schwermachten. Obwohl vor ein paar Tagen ein außergewöhnlicher Kälteeinbruch kurzzeitig eisigen Frost und starke Schneefälle gebracht hatte, verbreiteten sich die Ratten ungebremst. Wenn sich nicht auch die lebensnotwendigen Nutztiere – die zwar noch immer äußerst rar waren, jetzt aber, nach Auszahlung des Geldes durch Ulrich Dreyling von Wagrain, wieder vereinzelt in den Ställen standen – gut vermehren würden, könnte man verzweifeln.
     
    Das wusste auch der Pfandherr, dem der Staufner Pfarrherr dringend ans Herz gelegt hatte, ›irgendetwas‹ zu tun, um wieder neuen Lebensmut unter die gebeutelte Bevölkerung zu bringen. Also hatte der Reichsgraf zu Königsegg, sozusagen als Erstmaßnahme, den Staufnern für den herzlichen Empfang und ihre Treue zum Herrscherhaus zwei trächtige Kühe geschenkt, die er extra von Immenstadt nach Staufen hatte bringen lassen. Ein Rindvieh brachte der Kastellan zum Bechtelerbauern und das andere zu Jakob Bomberg, weil er wusste, dass es die Tiere dort gut haben und die Kälber fachgerecht großgezogen würden, damit sich diese ebenfalls vermehren und wieder auf andere Ortsbewohner verteilt werden konnten. Sowohl der ehemalige Antwerpener Buchdrucker als auch der bodenständige Bauer waren nur Sachwalter des Grafen und mussten in Bezug auf die kostenlose Abgabe der Milch an die Bevölkerung sorgsam Buch führen, was dem Bauern nicht leichtfiel, da er kaum lesen und schreiben konnte. Wenn ihm dabei nicht sein Knecht Otto helfen würde, müsste er dieses Ehrenamt wohl sofort wieder abgeben.
    Jakob Bomberg hingegen hatte damit keine Probleme – immerhin war er früher ein anerkannter ›Jünger der Schwarzen Kunst‹ gewesen.
    Bei ihrer diesbezüglichen Arbeit mussten beide darauf achten, dass die tägliche Milchverteilung möglichst korrekt vonstattenging. Eine Familie nach der anderen bekam – je nach Größe und Milchleistung der Kühe – ein vom Kastellan festgelegtes Kontingent zugewiesen, wobei Ausnahmen nur bei Dringlichkeit gemacht wurden.
    War jemand sehr krank, bekam er das fetthaltige Lebenselixier ebenso wie eine Mutter auf ihrem Kindslager. Diejenigen, die eigentlich dran gewesen wären, mussten sich dann ein paar Tage gedulden, was so viel hieß, dass sich die Sache nach hinten schob und letztendlich alle warten mussten.
    Und so hielten sie es: Der Bauer mit den Bewohnern des Oberfleckens und der Jude mit denen des Unterfleckens. Den Bechtelers und den Bombergs wurde damit zwar zusätzliche Arbeit aufgehalst, sie dienten aber in vorbildlicher Art und Weise dem Gemeinwohl. Zudem nahm es ihnen außer dem Schuhmacher kaum jemand übel, dass sie sich mit Einverständnis des Ortsvorstehers für ihre Mühen jeden Tag ein Quart Milch zum Eigenverbrauch abzwacken durften. Aufgrund ihrer Schafzucht ging es den Bechtelers auch in diesen schlechten Zeiten verhältnismäßig gut. Aber auch die Bombergs konnten – obwohl ihnen während der vermeintlichen Pestepidemie fast alle Hühner genommen worden waren – nicht klagen. Judith war sowieso recht zufrieden mit allem: Niemand ihrer kleinen Familie war dem Medicus zum Opfer gefallen, und die ernsthafte Liebe ihrer Tochter zum Sohn des Kastellans ließ sie – trotz allem, was gegen diese Verbindung sprechen mochte – getrost in die Zukunft blicken. Obwohl die Bombergs tiefgläubige Juden waren, sahen Jakob und Judith keine andere Möglichkeit, als ihre älteste Tochter konvertieren zu lassen. Nur so konnten die jungen Leute noch in diesem Monat das Sakrament der Ehe miteinander eingehen und dafür sorgen, dass ihr Kind kein ›Bastard‹ wurde – und dazu mussten sie als Eltern eben ein Opfer bringen. Dafür würden sie in den Genuss kommen, Großeltern zu werden. Außerdem entwickelte

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