Der Peststurm
Propst jetzt so richtig in die Sache kniete. Immerhin war es ihm gelungen, dem Oberhirten ein weiteres Schäfchen zuzuführen.
Und die anderen krieg’ ich auch noch, hoffte er.
Da schon einige Gespräche stattgefunden hatten, das Wichtigste geklärt war und die Organisation auf Hochtouren lief, würde die heutige Unterhaltung nicht allzu lange dauern.
Laut blökend kreuzte eine Schafherde seinen Weg. »Der gute Hirte sucht wohl ein verlorenes Schaf?«, krächzte der Wanderschäfer über die Straße.
»Nein! Ganz im Gegenteil: Ich habe eines dazubekommen«, rief der Propst zurück. Da er anstatt einer Antwort nur ein Husten, das im Geblöke der Schafe unterging, zurückbekam und er es sowieso eilig hatte, ging er, ohne die Unterhaltung zu vertiefen, weiter.
Für die heutige Zeit eine beachtliche Herde, dachte er, während er sich noch einmal umdrehte, um dem Schäfer nachzuwinken. Neun Böcke, 26 Aue und 13 Zutreter zählte die Herde, die, vom Westallgäu kommend, auf dem Weg zum Galgenbihl war, um auf den dortigen Weideflächen zu grasen. Dort oben war das frische Frühlingsgras jetzt ganz besonders saftig. Da es die Bauern nicht gerne hatten, wenn Schafe auf ihren Wiesen weideten, weil danach diese Flächen von den Kühen gemieden wurden, war es der Schäfer gewohnt, seine Herde dorthin zu treiben, wo sie geduldet wurde. Diesen Teil des Staufenberges verwaltete der Bechtelerbauer, der selbst Schafzüchter war und man ihm deshalb gestattete, seine Tiere dort weiden zu lassen. Mit dem Großbauern machte der Wanderschäfer zweimal jährlich – immer, wenn er durch Staufen zog – Geschäfte. So waren alle Schafe, die der Bauer besaß, ohne Ausnahme von ihm.
Da der Bechtelerhof unweit der Weidefläche lag, war die Herde gleich beim Eintreffen gesichtet worden. Schon eilte der Bauer herbei, um seinen Geschäftspartner mit einem festen Händedruck zu begrüßen.
»Oh Gott! Wie siehst du denn aus?«, fragte er den verhärmten Schäfer, der gerade mit schleimigen Auswürfen zu kämpfen hatte, während ihm kalter Schweiß ausbrach. Der Bauer legte ihm die flache Hand auf die Stirn. »Um Gottes willen, du hast ja die Hitze!«
»Ich habe mich bei dem Sauwetter nur etwas erkältet. Der für diese Zeit ungewöhnliche Schnee und der Frost der vergangenen Tage haben nicht nur dem keimenden Getreide geschadet, sondern auch meinen Füßen. Tagelang im nasskalten Schneematsch stehen zu müssen, hinterlässt unvermeidlich gesundheitliche Spuren. Außerdem sind die Nächte in meinem Karren auch jetzt, nachdem es langsam wieder wärmer zu werden scheint, doch noch recht kühl.« Der Schäfer musste erst einen schleimigen Brocken ausspucken, bevor er weitersprechen konnte. »Und mein treuer Hund kann mich nicht wärmen, da er nachts auf die Herde achten muss. Als es vor ein paar Tagen besonders kalt war, habe ich ihn zu mir in den Wagen hereingeholt, damit wir uns gegenseitig wärmen können. Allerdings ist mich dies teuer zu stehen gekommen. In jener Nacht hat mir ein verwilderter Hund oder ein Wolf zwei Zibben gerissen.«
Der Schäfer wurde jetzt nachdenklich und genehmigte sich wegen eines Hustenanfalls notgedrungen eine Pause, bevor er weitersprach: »Obwohl mich dies hart getroffen hat, musste ich feststellen, dass es viel Schlimmeres gibt!«
»Warum? Hattest du sonst noch einen Verlust zu beklagen oder hast du irgendwelche Probleme außer deinem miserablen Gesundheitszustand?«, fragte der Bauer mit sorgenvoller Miene.
»Ich nicht«, kam es kopfschüttelnd zur Antwort. »Als ich vorgestern in Scheidegg war, habe ich sogar großes Glück gehabt: Ich bin wohl vom Herrgott persönlich geleitet worden, als ich meine Tiere in einen uneinsehbaren Talkessel außerhalb des Dorfes gebracht habe. Da mein Hund auf die friedlich grasende Herde aufgepasst hat, wollte ich ins Dorf gehen, um die mir seit Langem bekannte Jungfrau Christine Milz zu besuchen, als … « Der Schäfer schluckte und stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stab, während er die Augen schloss.
»Ich verstehe nicht … «, unterbrach der Bauer das Schweigen. »Erzähl weiter.«
Der Schäfer hob langsam die Augenlider und blickte sein kräftiges Gegenüber lange an, bevor er es schaffte weiterzuberichten. »Christine hat mir seinerzeit erzählt, dass es Scheidegg aufgrund von Kriegsgräueln und Feuersbrünsten im letzten Jahr schlecht ergangen ist. Die Schweden haben damals von Wangen und Isny aus Raubzüge in die Umgebung unternommen, wobei sie
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