Der Peststurm
unter dem Wehrgang als Wohnung nutzten. Und weil sie alle dringend Geld benötigten und diese Aufgabe übernehmen wollten, kam es ebenfalls fast traditionsgemäß zu Streitereien. Immerhin bekam der Butz während der Fasnachtstage meist so viel Geld von der Herrschaft und von den bessergestellten Bürgern der Stadt, dass er davon seine Familie ein paar Wochen oder länger ernähren konnte. Bei solchen Gelegenheiten wie heute wurde er – im Gegensatz zu seinen Auftritten während der Fasnacht – auch noch auf das Beste verköstigt, durfte zudem die Reste des Festschmauses mitnehmen und, nachdem er seine Familie versorgt hatte, unter den ledigen Burschen Immenstadts verteilen – allerdings erst, nachdem sich die Dienerschaft bedient hatte.
Um in den Genuss dieser außerordentlichen Privilegien zu kommen, musste er sich nur bunter gewanden, als dies an den Fasnachtstagen der Fall war, wobei er auch jetzt sein Gesicht hinter einer Maske mit hölzerner Knollennase verbarg, um unerkannt zu bleiben. Dies sollte ihm die Peinlichkeit ersparen, von der Honoration als einer der Ärmsten der Armen erkannt zu werden. Da der Butz bei der Fasnacht auch als eine Art Ordnungshüter auftrat und symbolisch für die Gerechtigkeit stand, hing an seinem schwarzen Gürtel ein hölzernes Schwert, das er – quer in beide Hände genommen – dafür benutzte, um die Zuschauer etwas vom Geschehen wegzuschieben.
Dabei ging er sanft vor und tänzelte ständig hin und her, um zwischendurch immer wieder Sprünge mit gespreizten Beinen zu vollführen, bei denen er sein Schwert mit beiden Händen nach oben hielt. Wenn er einen honorigen Bürger oder gar ein Mitglied der gräflichen Familie sah, sprang er auf sie zu und vollführte eine höfische Verneigung, die ihm meistens ein paar Heller einbrachte.
Mit etwas Glück würde er auf diese Weise heute vielleicht sogar einen Gulden oder mehr zusammenbringen. Dabei konnte er getrost auf die alkoholbedingt gute Laune der Obrigkeit hoffen. Insbesondere, da sich der Graf nicht lumpen ließ und mit zehn Kreuzern seinen Gästen einen stolzen Anhaltspunkt vorgab. Dabei bekundete er dem Oberamtmann gegenüber seine Freude, dass es diese merkwürdige Figur gäbe und er sie zur allgemeinen Erheiterung künftig öfter einsetzen wolle.
Begleitet von den Klängen der Hofmusikanten, entfaltete sich ein wahrhaft imposantes Lichterspectaculum, das der Immenstädter Einwohnerschaft und den Gästen des Grafen noch lange im Gedächtnis bleiben sollte. Als alles vorüber war und der Himmel sich wieder dunkel zeigte, folgte abermals dumpfer Trommelwirbel, der für Ruhe sorgte, damit der Graf – wenn er schon einmal hier war – einige Worte an seine Untertanen richten konnte: »Liebe Bürger zu Immenstadt … «
Bevor er weitersprechen konnte, entkam ihm schon wieder ein lauter Rülpser, der ihm aber nicht unangenehm zu sein schien – im Gegenteil: »Das Essen war wohl von guter Qualität«, grunzte er zufrieden in Richtung des neben ihm stehenden Stadtammanns, dem zur Unterstreichung dessen, was sein Herr soeben gesagt hatte, ein unangenehmer Geruch aus dem Mund des Grafen in die Nase geblasen wurde.
Noch ein kleiner Rülpser, dann sprach der Graf weiter: »Dieser Lichterzauber soll uns alle in eine erleuchtete und von Gott gesegnete Zeit geleiten und uns vor der ewigen Dunkelheit bewahren … «
»Sein Wort in Gottes Ohr«, flüsterte der Immenstädter Pfarrer dem neben ihm stehenden Staufner Schlossverwalter zu.
»Hoffentlich gilt dies nicht nur für das Städtle, sondern auch für Staufen«, antwortete der Kastellan, gerade so, als wenn er eine Vorahnung dessen, was kommen würde, hatte.
Kapitel 7
Gleich nachdem die Dreylings von Wagrain aus Immenstadt zurückgekommen waren, mussten die Eltern den beiden Söhnen haarklein vom Begrüßungsfest berichten, wobei Lodewig das Feuerspiel ganz besonders interessierte, während Diederich Papas Medaille nicht mehr aus der Hand geben wollte.
Für die Mutter war das Fest, bei dem sie viel Tabakqualm eingeatmet hatte, und die zugige Rückfahrt in der Kälte offensichtlich zu anstrengend gewesen, weshalb sie noch mehr hüstelte als zuvor und seit ihrer Heimkehr aus Immenstadt wieder das Lager hüten musste. Obwohl sie keine Hitze hatte, sorgte sich Ulrich um sie – zu nah war die Erinnerung daran, als sie im vergangenen Jahr fast gestorben wäre, wenn ihr Eginhard nicht mit seinen unorthodoxen Methoden geholfen hätte.
»Ich bin nur nicht ganz bei
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