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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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sich Judiths Hühnerzucht zunehmend prächtig, was aber schon wieder Neid hervorrief und dem ›Pater‹ die Zornesröte ins Gesicht schießen ließ. Um sich abzureagieren, ging er in die ›Krone‹. Er quetschte sich an den übervollen Stammtisch, stand aber sofort auf, als der Totengräber den Gastraum betrat.
     
    *
     
    Seit der Narbengesichtige aus der Versenkung wieder aufgetaucht war, wurde er – obwohl er trotz Bart durch seine Augenklappe und die scheußliche Fratze immer noch furchterregend aussah – nicht mehr so stark gemieden wie vorher und durfte sich sogar zu den anderen Männern des Dorfes setzen. Die Zeiten, als er mit dem Henkerstisch hatte vorlieb nehmen müssen, waren wohl endgültig vorüber und er ein mehr oder weniger angesehenes Mitglied der Gesellschaft. Da der Stammtisch aber schon überbesetzt ausgesehen hatte, war er von den Zechern zwar freundlich gegrüßt worden, hatte sich allerdings notgedrungen an einen anderen Tisch setzen müssen.
    »Ist es gestattet?«, fragte der Schuhmacher Grob mit süßlicher Stimme und ließ sich, ohne die Antwort des Totengräbers abzuwarten, neben ihm nieder. »Ich habe etwas mit Euch zu bereden.«
    Ruland Berging wollte zuerst unwirsch abblocken, besann sich aber – während der unbeliebte Lederer zu reden begann – auf seine ihm eigene Neugierde. »Und was? … wenn ich fragen darf.«
    Nachdem ihnen die dralle Schankmagd zwei Humpen Bier gebracht und dabei um des Trinkgeldes willen nicht mit ihren Reizen gegeizt hatte, stillten die beiden den ersten Durst. Hemmo Grob wischte sich mit dem Handrücken den Schaum des dunklen Bieres vom Mund und kam ohne Umschweife auf den Punkt: »Ich habe zufällig mitbekommen, dass Ihr ein besonderes Interesse an der Familie des Kastellans habt.« Er sah sein Gegenüber listig an, während er auf dessen Antwort wartete.
    »Ich weiß nicht, was Ihr meint«, antwortete der Totengräber und gab sich bewusst uninteressiert.
    »Ihr braucht Euch vor mir nicht zu verstellen. Ich habe auf dem letzten Markt deutlich gesehen, dass Ihr nicht nur Interesse am Weib des Kastellans, sondern auch an deren kleinem Sohn gezeigt habt.«
    Bevor Ruland Berging dazu ansetzen konnte, sich künstlich zu empören, fuhr ihm der ›Pater‹ dazwischen: »Ich selbst habe auch ein besonderes Interesse an einer gewissen Familie.«
    Jetzt sah der Totengräber sein Gegenüber fragend an. Der blickte sich verstohlen nach allen Seiten um und rückte so nahe an Ruland Berging heran, dass der dessen unangenehme Ausdünstung in Kauf nehmen musste. »Ich will Euch nichts vormachen, da ich weiß, dass wir beide Verbündete suchen«, fuhr er fort.
    Der Totengräber verstand jetzt überhaupt nichts mehr. Was weiß diese Kanaille?, dachte er im Stillen, während er forsch darum bat, seine Zeit nicht mit Rätselraten zu vergeuden.
    »Also gut! Hört zu: Mir ist es letztlich egal, was Ihr mit der Familie des Kastellans zu schaffen habt. Ich sage es unumwunden, dass ich die jüdische Familie hasse«, entfuhr es dem ›Pater‹ in der aufkommenden Erregung eine Spur zu laut, während er mit der Faust auf den Tisch schlug. Er konnte von Glück sprechen, dass am Stammtisch gerade schallendes Gelächter ausgebrochen war und deswegen niemand etwas mitbekam.
    »Mäßigt Euch in der Lautstärke, wenn Ihr so etwas von Euch gebt«, rügte ihn der Totengräber, dessen Interesse jetzt gewaltig geweckt worden war.
    »Ist ja schon gut! Wie gesagt, hasse ich die Bombergs.«
    »Weshalb?«
    »Weil sie mir das Haus, das ich für meine Familie erwerben wollte, quasi gestohlen haben!«
    »Ich dachte, dass die Bombergs ihr Anwesen vom Vorbesitzer legitim erstanden haben?«
    »Gekauft haben sie es, das stimmt zwar, – aber zu was für einem Spottpreis! Außerdem war es mir quasi versprochen worden.«
    »Was heißt hier immer ›quasi‹?«, lästerte der Totengräber.
    »Eure Haarspaltereien könnt Ihr Euch sparen! Wie dem auch immer sei: Ich möchte dieses Pack vernichten. Diese Hexe von einem jüdischen Weib nennt mittlerweile wieder etliche Dutzend Hühner ihr Eigen, und wir ehrbaren Leute müssen ihr auf dem Markt viel Geld für die Eier und die Hennen – die sie nicht einmal gerupft liefert – bezahlen«, schimpfte der ›Pater‹ weiter. »Dieses gottverdammte Mistpack … !«
    »Euch kommt vor Scheelsucht schon derart die übelriechende Galle hoch, dass Ihr einem erbärmlich stinkenden Aussätzigen alle Ehre machen würdet«, unterbrach ihn der Totengräber und rutschte

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