Der Peststurm
hier besprochen wird, gilt – hiervon in Kenntnis setzen. Da wir es sowieso nicht ändern können, brauchen wir uns auch nicht näher damit zu beschäftigen.«
Bis auf Fabio, der es für eine hohe Ehre hielt, an dieser Sitzung teilnehmen zu dürfen, aber noch nicht so recht wusste, wie er sich verhalten sollte, murmelten jetzt alle durcheinander.
»Bitte! Lasst uns nun zum eigentlichen Grund unserer Zusammenkunft kommen.«
Der Kastellan wartete, bis alle ruhig waren, und fuhr dann sichtlich angespannt fort: »Ich habe euch heute nicht in meiner Eigenschaft als Schlossverwalter, sondern in meiner Eigenschaft als immer noch amtierender Ortsvorsteher hierhergebeten. Ich werde nicht lange um das Thema herumreden. Bis auf die ehrwürdige Schwester Bonifatia wissen alle Anwesenden, dass es in Staufen vor ein paar Tagen einen Pesttoten gegeben hat.«
»Gott erbarm’«, entfuhr es der Ordensfrau, die sich gleich dreimal hintereinander bekreuzigte.
Da der Kastellan wollte, dass diese Zusammenkunft rasche Ergebnisse zeitigte, und er den Anblick des Totengräbers nicht unnötig lange ertragen mochte, ergriff er sofort wieder das Wort, ohne auf die Schwester einzugehen: »Bitte lasst mich zuerst alles darlegen, was ich zu sagen habe, und unterbrecht mich nicht. Wenn ich alles kundgetan und meine Vorschläge unterbreitet habe, können wir gemeinsam in Ruhe und mit der gebotenen Ernsthaftigkeit darüber reden. Seid ihr damit einverstanden?«
Durch allseitiges Kopfnicken bestätigten die Anwesenden ihr Einverständnis.
»Also: Unser heutiges Treffen birgt schon ein großes Risiko. So bedauerlich es auch ist, müssen wir davon ausgehen, dass es sich – im Gegensatz zum vergangenen Herbst – dieses Mal um die ›echte‹ Pestilenz handelt und sich diese Geißel Gottes in Staufen aller Wahrscheinlichkeit nach unaufhaltsam ausbreiten wird. Ich befürchte, dass es schon bald die nächsten Opfer geben wird. Wie ich erfahren habe, ist die Familie Bechteler mit dem an der Pest gestorbenen Schäfer in Berührung gekommen. Überdies hat mein bester …«, er hielt kurz inne, »und unvernünftiger Freund Otto mehrmals mit dessen Schafen Kontakt gehabt. Ob der Schäfer durch die Flöhe seiner Schafe oder indirekt von den Schweden infiziert worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Und Ratten wird es ja auch in Scheidegg geben. Dazu kommt noch, dass Otto und seine Mutter Resi tagtäglich hautnah mit allen Mitgliedern der Familie Bechteler zu tun haben.«
Der Kastellan schnaufte tief durch, bevor er weitersprach: »So traurig es ist, müssen wir doch mit dem Schlimmsten rechnen. Damit ihr wisst, um was für eine abscheuliche Krankheit es sich überhaupt handelt, woher sie kommt und wie sie sich auswirkt, erzähle ich euch jetzt erst einmal, was ich schon letztes Jahr vom weitgereisten Immenstädter Stadtmedicus und von meinem Sohn Eginhard, der, wie ihr vielleicht wisst, bald ein Doctor der Medizin sein wird, darüber erfahren habe.«
Bevor der besorgte Ortsvorsteher zu berichten begann, schnaufte er tief durch.
»Die Zeit zwischen Ansteckung und Ausbruch der tödlichen Krankheit beträgt nur wenige Tage. Mittlerweile wissen wohl die meisten der studierten Ärzte, dass in erster Linie Rattenflöhe die Krankheitsüberträger sind. Es können auch andere Tiere sein, die allerdings zuvor von einem Rattenfloh gebissen worden sein müssen, bevor sie selbst die tödliche Krankheit weitergeben können. Beißen diese kleinen Flöhe einen Menschen, entwickelt sich an der juckenden Stelle innerhalb von einem bis sechs Tagen ein blauschwarzes Umfeld.«
Während er dies sagte, begannen sich ein paar seiner Zuhörer – wie auf einen inneren Befehl hin – zu kratzen.
»Schon zwei bis drei Tage später schwellen die dieser Stelle am nächsten liegenden Lymphknoten an, dann folgen nach einer Woche – oder früher – Kopfschmerzen, Fieber und Benommenheit. Bis dahin ähnelt die Seuche einer der üblichen winterlichen Erkrankungen. Doch dann wird der Infizierte schwach und muss sein Lager hüten. Hautblutungen treten auf, Verdauungsstörungen, große innere Schmerzen, geistige Verwirrtheit folgen und die Knoten schwellen zu faustgroßen Beulen an«, unterstrich er seine Ausführungen, indem er eine Faust ballte, während er den erstaunten Zuhörern weiter berichtete. »Wenn die Beulen aufbrechen, läuft daraus zwar eine ekelhaft stinkende und eitrige Flüssigkeit, bietet aber dem Erkrankten die einzige Möglichkeit, überleben zu
Weitere Kostenlose Bücher