Der Peststurm
jetzt noch nicht und freuen uns lieber auf die Feierlichkeiten, die wir zu einem späteren Zeitpunkt nachholen werden«, hatte er die Enttäuschung und die damit verbundene Sorge aller etwas abzumildern versucht. Danach war er in seine Schreibstube geeilt, um einen Brief an Oberamtmann Speen aufzusetzen und nach Fabio zu rufen, der alsbald gekommen war und stumm darauf gewartet hatte, was ihm der Kastellan zu sagen hatte.
»Fabio, ich kann es dir nicht befehlen, hätte aber eine wichtige Aufgabe für dich.«
»Ja, Herr?«
»Ich bitte dich, dieses Schreiben auf schnellstem Wege nach Immenstadt zu bringen. Aber ich sage es gleich: Aus gewissen Gründen kann ich dir kein Pferd mitgeben. Das heißt, du musst laufen.«
Nachdem Fabio spontan zustimmend genickt hatte, ohne zu wissen, um was es überhaupt ging, hatte er die weiteren Anordnungen des Kastellans entgegengenommen: »… und sieh zu, dass du vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück bist. Vermeide es, anderen Leuten zu nahe zu kommen oder sie gar zu berühren. Wenn dir jemand entgegenkommen sollte, versteck dich im Gebüsch.«
»Es ist die Pest! Nicht wahr?« Fabio hatte dabei seinen Herrn unsicher angeblickt.
»Ja! Und jetzt geh«, hatte der Kastellan ehrlich zur Antwort gegeben und dabei über Fabios Wuschelkopf gestrichen. Dies war die allererste Liebkosung gewesen, die der ungeliebte Sohn einer Hure erfahren hatte, seit sie ihn ungefragt in diese unfreundliche Welt entlassen hatte und er – kaum dass er geboren war – von einem Straßenköter abgeleckt worden war. Dankbar hatte er dem Kastellan in die Augen geschaut, bevor er sich auf den Weg gemacht hatte. Er wäre für ihn bis ans Ende der Welt, und nicht nur bis nach Immenstadt, gegangen. Während er die 17 Meilen zu Fuß dorthin unterwegs gewesen war, hatte er sich immer wieder übers Haar gestrichen. Noch nie hatte ihn jemand so sanft berührt, wie der Kastallan. Noch nie hatte ihn ein solch wonniger Schauer überkommen. Ja, er würde für seinen neuen Herrn und dessen Familie wirklich alles tun und hoffte auf eine diesbezügliche Gelegenheit. Dabei konnte er nicht im Entferntesten ahnen, wie schnell diese kommen sollte.
*
Ulrich Dreyling von Wagrain indessen hatte die Sorge um die Bechtelers und um die Doblers zum Hof der allseits geschätzten und beliebten Bauersleute getrieben. Aber seine Angst um deren Gesundheitszustand schien umsonst gewesen zu sein. Die Hofbewohner waren allesamt wohlauf und hatten lediglich Durchfall. »Die Bohnen … «, entschuldigte sich der Bauer, nachdem ihm ein allzu heftiger Leibeswind entfleucht war.
Dennoch hatte es der Kastellan vermieden, das Innere des Hauses zu betreten, und sich stattdessen mit dem Bauern und mit Otto Dobler vor der Tür unter Wahrung eines Sicherheitsabstandes unterhalten. Es hatte ihn geschmerzt, seinen Freund Otto so behandeln zu müssen. Aber die Gefahr, dass auch er sich beim Schäfer angesteckt haben könnte, war einfach zu groß. Auf die höfliche Bitte der Bäuerin einzutreten, hatte der Ortsvorsteher als Ausrede angeführt, dass er in Eile wäre, weil er an diesem Tag noch viel Arbeit wegen der ausgefallenen Hochzeit habe. Da war ihm der Glockenschlag der Kirchturmuhr gerade recht gekommen. »Ich muss mich sputen.« Als er schon im Gehen war, hatte er sich noch einmal umgedreht: »Versteht mich nicht falsch, wenn ich Euch bitten muss, die nächsten Tage das Haus nicht zu verlassen.«
»Natürlich! Wir verstehen das«, hatte der Bauer gelassen geantwortet. Aber schon eine Stunde später war er mit Otto zum Galgenbihl gegangen, um nach den Schafen des Wanderschäfers und nach den eigenen Schafen, die sie vor ein paar Tagen ein ganzes Stück höher, zu einer saftigeren Viehweide, getrieben hatten, zu sehen. Deswegen hatten die Schafe des Wanderschäfers auf dem Galgenbihl genügend Platz gefunden.
Kapitel 11
Aufgrund seiner Befürchtung, es könnte sich Schlimmes anbahnen, lag dem Kastellan viel daran, das vormals im Siechenhaus vereinbarte ausführliche Gespräch mit Schwester Bonifatia schnellstens herbeizuführen. Als er bei ihr gewesen war, hatte sie ihm nicht die benötigte Zeit hierzu gewährt, weil er sie unangemeldet besucht und sie viel Arbeit gehabt hatte. Nachdem er ihr dennoch die Leitung des Staufner Spitals angeboten hatte, war es ihr doch etwas mulmig ums Herz geworden, weil ihr klar geworden war, dass sie dann mit den Franziskanerinnen nicht mehr zu tun haben würde, als dass sie ein Mitglied dieses
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