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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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können.«
    Der Ortsvorsteher machte jetzt eine kleine Pause, in der er erkannte, dass ihm alle Anwesenden ernsthaft interessiert an den Lippen hingen, während sich die offensichtlich an verhältnismäßig wenig Schmutz und Ekel gewohnten Diener Gottes immer noch kratzten.
    »Gewiss: Eine eher schwache Hoffnung, aber immerhin besteht bei der Beulenpest die Möglichkeit zu überleben. Aber lasst mich euch weiter über den Fortgang der Krankheit in Kenntnis setzen«, schweifte er kurz vom Kern seines Berichtes ab.
    »Spätestens jetzt wird das Umfeld des Kranken in Angst und Schrecken geraten sein, weil es begriffen hat, dass es die Pestilenz ist. Manche Infizierte brechen an Ort und Stelle zusammen, andere schleppen sich nach Hause, mit Beulen am Hals, unter den Achseln und an den Leisten, aus denen unablässig Blut und Eiter hervorquellen. Der Körper ist jetzt mit Geschwüren und schwarzen Flecken übersät. Das bedauernswerte Opfer krümmt sich vor inneren Schmerzen. Atem, Schweiß, Urin, Kot … , alles stinkt erbärmlich nach Fäulnis. – Hat jemand eine Frage?« Der Redner – von seinem eigenen Bericht sichtlich ergriffen – blickte auffordernd von einem zum anderen.
    »Wissen die Ärzte Genaueres über den Erreger?«, wollte die in der Heilkunde bewanderte, aber in Sachen Pest doch recht unerfahrene Krankenschwester wissen.
    »Ja! Aber wie ich glaube, bisher nur vereinzelt. Wie mir bekannt ist, hat der alte Immenstädter Stadtmedicus Erfahrung damit und weiß mehr darüber als die meisten seiner Berufskollegen, weil er als junger Medicus in Jerusalem bei einem berühmten Pestarzt gearbeitet hat. Jedenfalls hat er mir viel darüber erzählt. Einen Moment, bitte. Ich habe mir bei diesem Gespräch Notizen gemacht … Ah! Da sind meine Aufzeichnungen ja.«
    Der Kastellan überflog erst das vergilbte Blatt, bevor er die Frage der Schwester beantwortete: »Der Pesterreger ist ein Bazillus, dessen Wirtstier die Ratte ist und der durch den Biss des Rattenflohs – wie zuvor schon gesagt – von Tier zu Tier übertragen wird. Wie wir alle wissen, sind Ratten und Flöhe eine alltägliche Plage – so alltäglich, dass niemand auf den Gedanken kommt, zwischen ihnen und dem Sterben einen Zusammenhang zu sehen. Da die Pest nicht nur durch Wanderratten, sondern auch durch Hausratten, wie wir sie heuer in ungewohnt hoher Population dulden müssen, übertragen wird, kommen früher oder später auch Menschen mit der Krankheit in Kontakt. Der Floh kann ohne Wirtstier bis zu 30 Tage überleben. Er versteckt sich gerne in Heuballen, Strohlagern oder schlüpft in Stoffe. Da sich die Flöhe bei Kälte verkriechen und lahm werden, verbreitet sich die Seuche bei warmen Temperaturen wesentlich schneller als im Winter.«
    Dass es sich konkret so verhielt, dass Rattenflöhe bei Temperaturen unter zehn Grad Celsius in eine Art Gliederstarre fielen, war auch dem Immenstädter Medicus noch nicht bekannt.
    Der Ortsvorsteher biss sich auf die Unterlippe. »Obwohl wir schon auf Ende Mai zugehen, ist es aufgrund des unvorhergesehenen Wetterwechsels jetzt noch recht kalt … , aber die heiße Zeit kommt so sicher wie das Amen in der Kirche«, gab er zu bedenken, bevor er den Unterschied zwischen der Beulen- und der Lungenpest erklärte: »Es kann sein, dass sich bei manchen Erkrankten die Beulenpest in die noch tückischere Lungenpest verwandelt. Dies geschieht dann, wenn Flüssigkeit in die Lunge eines Infizierten gelangt und das Gewebe des Atemorgans rasend schnell zerstört. Bluthusten, Lähmungen und schließlich der grausame Tod durch Ersticken sind die unvermeidlichen Folgen. Einmal akut, wird die Lungenpest durch Infektion übertragen, durch winzige Flüssigkeitsspuren in der Luft. Sie zerstört den Körper mit schrecklicher Schnelligkeit: Von der Infektion bis zum Tod vergehen meist zwei Tage, in manchen Fällen nur ein paar Stunden. Der Stadtmedicus hat gemeint, dass unter Umständen eines von drei Opfern die Beulenpest überleben kann und danach sogar für eine gewisse Zeit gegen diese Krankheit immun ist, wenn auch manchmal Schäden, wie Dauerlähmungen oder Irrsinn, zurückbleiben. Die Lungenpest hingegen überlebt so gut wie niemand. Den Menschen – selbst den meisten Ärzten – ist kaum bewusst, dass die Beulenpest und die Lungenpest insofern in Verbindung gebracht werden können, als dass aus der Beulenpest die Lungenpest werden kann und dass es sehr gefährlich ist, einem Kranken zu nahe zu kommen. So hat es im

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