Der Peststurm
bevor er die Augen schloss und seinen Kopf in den Händen vergrub.
Kapitel 14
Da man die ›Pesttoten‹ des vergangenen Herbstes nicht auf dem vor sechs Jahren extra hierfür geplanten, seinerzeit aber noch nicht errichteten, Pestfriedhof im weit außerhalb des Dorfes liegenden Weißachtal begraben hatte, war der Schäfer der Erste gewesen, dem die Ehre zuteil geworden war, in dieser geweihten Heimaterde bestattet zu werden. Da der Tote in Staufen aber nicht allzu bekannt war, gab es auch keinen Leichenzug. Aus Angst vor Ansteckung hätte es den wahrscheinlich auch nicht gegeben, wenn er ein alteingesessener und der beliebteste Mann des Dorfes gewesen wäre. So war er lediglich in sicherem Abstand von Propst Glatt begleitet worden, der, den ganzen Weg nach Weißach hinunter vor sich hin murmelnd, Gottes Segen herabbeschworen und die Flur mit Weihwasser bespritzt hatte. Dabei hatte er sorgsam darauf geachtet, nicht hinter dem Leichenwagen herzulaufen, um keinesfalls den Odem des Todes einatmen zu müssen. Aus dem ehemals selbstbewussten Pfarrherrn war innerhalb kurzer Zeit ein erbärmlicher Feigling geworden.
Jetzt war der Propst schon wieder auf dem Rückweg vom Pestfriedhof, wo Fabio gerade die Gruben für diejenigen, die dem Schäfer in seinen letzten Stunden beigestanden hatten, zuschüttete. Da kam dem wegen des steilen Weges heftig schnaufenden Priester der an diesem Tag noch dunkler als sonst gewandete Ruland Berging entgegen. Wegen der breiten Krempe dessen übergroßen Schlapphutes hätte ihn der Priester fast nicht erkannt. Um ihm nicht zu nahe kommen zu müssen, wechselte er die Seite des Weges. Der Totengräber dachte sich nichts dabei. Er wusste, dass ihn jetzt alle Menschen nicht nur um seiner selbst willen, sondern aus Angst vor Ansteckung mieden, und fragte lediglich mürrisch danach, wie weit Fabio mit seiner Arbeit sei.
Der ist heute aber übel gelaunt, dachte sich der Propst und ging grußlos weiter, ohne zu antworten.
*
Als Stunden später nach getaner Arbeit auch der Totengräber und Fabio erschöpft im Dorf eintrafen, erfuhren sie, dass es schon wieder einen Toten – den ersten außerhalb des Bechtelerhofes – gab.
»Den holen wir morgen. Du nimmst den Karren mit und reinigst ihn, während ich ins Wirtshaus gehe«, ordnete der Totengräber, der seinen Ärger darüber, dass er selbst doch noch hatte mit anpacken müssen, hinunterspülen wollte, mit einem sarkastischen Grinsen an.
In der ›Krone‹ saß nur eine Handvoll Männer. Einer davon war der ›Pater‹, der endlich wieder einen Grund hatte, über die Juden herzuziehen. »Die haben die Brunnen und … «, er hob beschwörend die Hände nach oben, während er seine Aussage konkretisierte, »den Seelesgraben vergiftet«, vernahm der Totengräber, während er an Hemmo Grob vorbeilief. Ihm war es jetzt wieder nicht mehr gestattet, sich an den Stammtisch zu setzen. Aber dies war ihm egal; er hatte sich sowieso längst vorgenommen, seine Sache allein durchzuziehen und sich nun doch nicht mit dem Schwätzer zusammenzutun.
»Seid uns nicht böse, … aber die Ansteckung«, entschuldigte sich der Wirt.
Ruland Berging winkte ab und setzte sich seit langer Zeit wieder einmal an seinen alten Stammplatz, den nach wie vor allseits gemiedenen ›Henkerstisch‹.
Welche Ironie, dachte er. Nach langer Zeit sitze ich ausgerechnet heute wieder hier.
*
Die Wochen zogen sich zäh dahin, und es verging kein Tag, an dem Fabio und sein Herr nichts zu tun hatten, wobei der Totengräber anschaffte und Fabio schaffte. Starb an einem Tag ausnahmsweise niemand, musste der inzwischen so richtig fleißig gewordene Hilfstotengräber Gruben auf Vorrat ausheben. Aber im Schnitt erlag jetzt täglich ein Mensch der Pest, an manchen Tagen waren es sogar zwei oder drei. Die meisten davon musste er allein abholen und auch ohne Ruland Bergings Hilfe unter die Erde bringen. Dennoch war Fabio zufrieden: Er hatte ein festes Dach über dem Kopf, bekam genug zu essen und zu trinken und vom Totengräber hin und wieder ein paar Heller oder Kreuzer, manchmal sogar einen Viertel Gulden für seine Arbeit. Das war verdammt viel Geld. Dass es sich dabei eher um Schweigegeld handelte, war dem ehemaligen Dieb egal. Er tat nur, was ihm aufgetragen wurde, und kümmerte sich sonst um nichts. Dadurch diente er indirekt auch Ulrich Dreyling von Wagrain und somit der ganzen Dorfgemeinschaft.
Dem Totengräber ging es jetzt wie einst dem Medicus. Er konnte die
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