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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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schon noch!«
    Hätte der Sohn des Sonnenwirtes nicht so viel Furcht vor Ansteckung, würde er Fabio, den er fälschlicherweise immer noch als ›Mistgabelmörder‹ betrachtete, längst totgeprügelt haben. Die Peinlichkeit, die der Dieb ihm und den anderen Häschern auf Wachters Bauernhof zugefügt hatte, weil er ihnen dort entwischt war, konnte der als aggressiv bekannte Wirtssohn immer noch nicht vergessen. Da Fabio seinen Karren tagtäglich durch den Ort zog, um irgendwo Leichen abzuholen, hatte es ja nicht ausbleiben können, dass ihn diejenigen, die ihn im vergangenen Winter bei Wachters aufgespürt hatten, entdecken würden. Mittlerweile hatten ihn alle seine damaligen Jäger irgendwo gesehen und sich darüber gewundert, dass er noch am Leben war. Nur derjenige, dem er damals vom Giebelfenster eines Heustadels aus auf den Kopf uriniert hatte, und Josen Bueb, der damalige Anführer von Fabios Häschern, wollten ihm noch an den Kragen. Alle anderen Männer hatten jetzt keinen Sinn dafür, einen harmlosen Strauchdieb, dem sie, genau genommen, kein einziges Vergehen oder gar ein Verbrechen nachweisen konnten, zu bestrafen. Damals hatten sie sich von Josen Bueb und dem ›Pater‹ blenden und aufhetzen lassen. Jetzt respektierten die meisten von ihnen, dass sich der verlauste Bursche aufopferungsbereit um die Pesttoten kümmerte. Selbst dem ›Pater‹ war es momentan egal, dass sich Fabio frei bewegen konnte. Das sollte aber nicht heißen, dass er ihn auf Dauer in Ruhe lassen würde. Momentan hatte er ein ganz anderes Ziel vor Augen. Er wollte noch in diesem Monat das Haus der verhassten Juden ergaunern. Deswegen ließ er den jungen Hilfstotengräber ungestört seine Arbeit verrichten.
     
    *
     
    Nachdem Fabio seinen Karren vollgeladen hatte, wollte er die Leichen eigentlich wie immer nach Weißach hinunter zum Pestfriedhof bringen, um sie dort irgendwann zu begraben. Da ihm die Hitze nun aber besonders zusetzte und er den allgegenwärtigen Verwesungsgeruch nicht mehr ertragen konnte, beschloss er kurzerhand, die bedauernswerten Opfer der Pest nur den Ort hinaus in Richtung Salzstraße zu karren, um sie dort auf freiem Gelände zu verbrennen. Unabhängig davon, dass er mit dem Ausheben von Gruben schon längst nicht mehr nachkam, weshalb sich die Leichen am Weißachbach stapelten, wurde er schon mehrmals dazu aufgefordert, die stinkenden Leiber ins Feuer zu werfen, um die Seuchengefahr zu vermindern. Ihm wurde gesagt, dass dies, wenngleich auch keine von Gott gewollte, so doch im Vergleich zur Erdbestattung die sauberere Lösung wäre.
    Also packte er es jetzt an und stapelte die Leichen außerhalb des Dorfes in der Nähe des Stadels, neben dem das Sühnekreuz stand, zu einem stinkenden Fleischberg auf, den er mit mühsam zusammengetragenem Bruchholz und mit dürren Ästen anreicherte. Bevor er eine neue Lage Leichen auf die darunterliegenden warf, legte er das wenige Geäst, das er hatte finden können, dazwischen. Da er weder Teer noch Öl zum Anfeuern hatte, brauchte er lange, um das Ganze zum Brennen zu bringen.
    »Verdammt«, fluchte er. »… hätte ich doch nur etwas Zündstoff hier!«
    Irgendwann schaffte er es aber doch, den Scheiterhaufen ohne Brandbeschleuniger zum Brennen zu bringen. Aus sicherer Entfernung und den Wind im Rücken, beobachtete er, wie die Flammen – zuerst langsam, dann immer gieriger – hochschlugen.
    Eine kluge Entscheidung. Da kann ich mir künftig viel Arbeit ersparen, stellte er zufrieden fest, während sich die Flammen immer höher fraßen. Wie er dem Feuer so zusah, glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen. »Ja, spinn ich denn! Das gibt’s doch nicht«, rief er und blickte um sich, als wenn jemand in seiner Nähe wäre.
    Mit Entsetzen sah er, wie sich die Oberkörper der oben liegenden Leichen aufrichteten und dabei sogar die Arme bewegten. Er konnte es nicht fassen, dass ein Mann dabei auch noch sein Gesicht zu einem Lachen verzog. Einige der Brennenden schienen wieder lebendig zu werden und ihn zu verspotten, bevor sie plötzlich wieder in sich zusammensackten. Fabio, der noch niemals in seinem ganzen Leben das Kreuzzeichen gemacht hatte, versuchte sich jetzt erstmals daran, während er vor Angst schreiend etwas Abstand vom Scheiterhaufen suchte.
    Er glaubte, dass es sich um das leibhaftige Auferstehen der Toten oder aber um Ausgeburten der Hölle handelte, die ihn für all seine kleinen Verfehlungen bestrafen und deswegen mit in das Feuer ziehen wollten. Er gelobte bei

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