Der Peststurm
dass dies dennoch nichts Gutes bedeuten konnte und er jetzt besonders achtsam sein musste, wenn er unbeschadet durch dieses Dorf – oder besser noch daran vorbei – reiten wollte. Es war ihm eigentlich auch egal, um was es hier ging. Ihn beschäftigte vielmehr, wie er der Menschenmenge, die er schon bald vor sich sah, ausweichen konnte. Aufgrund der geografischen Lage schien dies jedenfalls nicht leicht zu werden. Die einzige Straße war durch Hunderte Menschen versperrt, links ging es den Berg hoch, rechts war gleich der See und dazwischen enge Gassen, in denen es ebenfalls vor wild durcheinanderschreienden Leuten, die offensichtlich alle zur Hauptstraße drängten, nur so brodelte.
Vielleicht ist es ja doch nur eine Gauklertruppe oder etwas Ähnliches?, hoffte der Kastellan, der nicht wusste, ob sich der Große Krieg schon bis hierher vorgearbeitet hatte.
Er überlegte, ob er sich so lange gedulden sollte, bis der Knoten gelöst und die Straße wieder offen sein würde, konnte aber nicht einschätzen, wie lange er würde warten müssen. Jetzt hatte er es in einer einzigen Tagesreise bis hierher geschafft und konnte halbrechts über der glitzernden Wasserfläche schon die Spitze der Mehrerauer Klosterkirche sehen. Er musste nur noch ein Stück um den See herum, dann war er in Bregenz. Da er sich seinen strammen Reiseschnitt nicht noch so kurz vor dem Ziel verderben lassen wollte, überlegte er, wie er am schnellsten an dem Menschenpulk vorbeikommen konnte. Außerdem war er müde und konnte es kaum erwarten, seinen ältesten Sohn in die Arme zu schließen, auch wenn dies mit seiner traurigen Mission einhergehen würde. Also musste er sich etwas einfallen lassen. Was gäbe er jetzt dafür, mit einem Boot zum Kloster übersetzen zu können. Aber es nützte nichts – weit und breit war kein Lastenkahn in Sicht, der ihn hätte mitnehmen können. Und dem einzigen hiesigen Fährmann war das Boot von einer Gruppe streunender Italiener gestohlen worden, hatte er von einem Einheimischen erfahren. Da er nach längerem Überlegen keine bessere Möglichkeit sah, entschloss er sich letztendlich doch dazu, den direkten Weg durch die verstopfte Straße zu nehmen.
Aufmerksam nach allen Seiten spähend, ritt er langsam – mit einer Hand die Zügel, mit der anderen seinen Säbel fest am Heft – auf die Menschenmenge zu. Dennoch war er nicht wachsam genug. Sein Herz war bei Eginhard, den er in spätestens einer Stunde zu sehen hoffte. Der Gedanke daran ließ seinen Mund gerade von einem leisen Lächeln umspielen, als er hinterrücks vom Pferd gezogen wurde und einen harten Schlag im Gesicht verspürte.
Kapitel 24
Seit der kleine Diederich tot und oberhalb des Schlosses beerdigt worden war, triumphierte jetzt nicht nur allein die Trauer im Schloss, denn die Freude am Neugeborenen hatte etwas Hoffnung aufkommen lassen. Dennoch trug der schmerzliche Verlust ihres jüngsten Sohnes nicht gerade zu Konstanzes Heilung bei, weswegen sie jetzt dringender Hilfe benötigte als je zuvor. Nachdem Ulrich ihr Diederichs Tod behutsam mitgeteilt hatte, war sie zusammengebrochen und seither in noch schlechterer Verfassung, als sie es ohnehin schon gewesen war. Obwohl sie Eginhards Studium keinesfalls durcheinanderbringen wollte, hoffte sie jetzt doch insgeheim, Ulrich würde ihren heilkundigen Sohn mitbringen, damit er ihr wenigstens etwas Linderung verschaffen konnte und sie sich bei ihm würde ausweinen können. Da sie Rosalinde immer noch vorwarf, durch Unachtsamkeit die Schuld am Tod ihres geliebten Sohnes auf sich geladen zu haben, ließ sie ihre verzweifelte Magd nicht mehr an sich heran. Wenn die Kastellanin nicht von Judith versorgt würde, wäre sie zudem auch noch recht einsam: Ihr Mann war irgendwo da draußen, ein Sohn war tot, ein anderer weit weg von Staufen und der dritte ließ sich von Sarah über den Tod seines Bruders hinwegtrösten, anstatt seiner Mutter beizustehen. Obwohl Diederichs Tod Sarah und Lodewig noch enger zusammengeschweißt hatte und ihre gegenseitige Liebe wachsen ließ, waren sie sich seither körperlich nicht mehr nahe gekommen. Durch ihr Kind wäre dies jetzt sowieso nicht möglich und überdies derzeit auch nicht wichtig. Genauso wie ihre Zuneigung wuchs, war ihre Stimmung wegen Diederichs Tod ganz nach unten gesunken und begann, angesichts des Neugeborenen, erst jetzt so langsam wieder etwas zu steigen.
Wenigstens war Sarah nun ständig in Lodewigs Nähe. Er musste sie und das noch namenlose Kind
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