Der Peststurm
seiner Mutter und allen anderen Huren dieser Welt, künftig nicht einmal mehr einen Heller, allerhöchstens Äpfel zu stehlen, wenn ihn diese Kreaturen nur in Ruhe ließen. »Von mir aus lass ich auch das mit den Äpfeln«, schrie er, vor Angst zitternd.
Dass es die Hitze war, die ihm diesen Streich gespielt hatte, und es bei entsprechenden Temperaturen durchaus dazu kommen konnte, dass sich Gliedmaße von Toten kurz bewegten, wusste er natürlich nicht. Er beruhigte sich erst, als die furchterregenden Leiber um und um von den Flammen eingeschlossen waren und sich endgültig seinen Blicken entzogen hatten.
Nachdem der Scheiterhaufen niedergebrannt war, wartete er lange in angemessener Entfernung, ob die Leiber sich nochmals dem Himmel entgegenzustrecken versuchten oder ob sie verbrannt waren. Er wollte die verkohlten Holzreste und Knochen beseitigen, ließ dies aber, weil der Schrecken immer noch in seinen Gliedern steckte.
Vielleicht ist das Verbrennen doch kein so guter Gedanke?, fragte er sich und wandte sich vom Ort des Geschehens ab.
Während er schnell den leeren Leichenkarren nach Staufen zurückzog, schwor er sich, nie wieder einen Pesttoten zu verbrennen, weil er fürchtete, Gefahr zu laufen, so die Schleusen der Hölle zu öffnen. Hatte er gehofft, sich durch das Verbrennen der Verstorbenen künftig eine Arbeitserleichterung zu verschaffen, wollte er jetzt doch lieber wieder Gruben ausheben. Dennoch sollte sein Scheiterhaufen in dieser Woche nicht das einzige Feuer gewesen sein.
Kapitel 25
»Los! Her mit dem Geld … , oder ich bring’ dich um«, brüllte der Straßenräuber sein Opfer mit furchterregend tiefer Stimme an, während er seiner Forderung Nachdruck verlieh, indem er bedrohlich eine Doppelaxt schwang. Obwohl die langen blonden Haare und der dicke Bart nicht viel von seinem Gesicht preisgaben, erkannte der auf dem Boden liegende Kastellan, dass über ihm mit breit gespreizten Beinen ein großes und stark wirkendes Wesen stand, das nicht nur grimmig dreinblickte, sondern es auch böse zu meinen schien. Obwohl Ulrich Dreyling von Wagrain nicht den geringsten Zweifel daran hegte, dass von dem Hünen eine ernstzunehmende Gefahr ausging, wenn er dessen Aufforderung nicht umgehend nachkommen sollte, hatte er nicht vor, sich widerstandslos ausrauben zu lassen, ohne in seine Fintenkiste zu greifen: »Moment! … Ahh«, klagte er und fasste an die Stelle, an der ihn die Wucht eines Schmiedehammers getroffen hatte, während er fast gleichzeitig vom Pferd gerissen wurde. Dabei hatte er das Gesicht bewusst so verzerrt, als wenn er große Schmerzen vom Faustschlag, den er soeben hatte einstecken müssen, hätte. Mit dieser Finte wollte er Zeit für Überlegungen gewinnen und seinen Gegner in Sicherheit wiegen, was diesen unvorsichtig machen sollte. Sicher, er spürte den Schlag der überdimensionalen Faust dieses riesigen Kerls, der ihn hinterrücks niedergestreckt hatte – aber dies ließ sich locker aushalten.
»Hört auf zu jammern und erhebt Euch«, wurde der auf dem Boden liegende Mann mit fester Stimme aufgefordert.
»Ahh! … Sofort«, ergänzte der Kastellan sein künstliches Gejammere, während er die genaue Position seines Gegners einzuschätzen versuchte.
Nun ging alles blitzschnell: »Jetzt«, schrie er lautstark, um sich selbst Mut zu machen, während er dem Straßenräuber gleichzeitig seinen Stiefel so fest zwischen die Beine knallte, dass dieser seine Waffe fallen ließ, um sich mit beiden Händen das getroffene Körperteil zu halten, und mit einem Schmerzensschrei in sich zusammensackte.
Blitzschnell zog der für sein Alter, seine Größe und trotz der Oberkörperrüstung, unglaublich wendige Schlossverwalter seine Beine an, rollte sich von seinem Gegner weg und stand, während er seinen Säbel schon gezogen hatte, in sicherem Abstand vor ihm. Dem Kastellan bot sich ein interessantes Bild: Einen vor Schmerz schreienden Riesen, der in gekrümmter Haltung mit beiden Händen seine Männlichkeit hielt, hatte er weiß Gott noch nie gesehen. Er rammte seinen Säbel in den Boden und stützte sich mit einer Hand lässig auf den Knauf, während er mit der anderen die Doppelaxt seines Gegners schulterte. Der momentane Sieger dieses merkwürdigen Duells wartete, dass die Schmerzen beim bemitleidenswerten Wegelagerer nachließen und dieser aufstehen würde.
Der Hüne konnte es nicht fassen, von seinem Opfer wie ein Baum gefällt worden zu sein, und wunderte sich darüber, dass er für
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