Der Peststurm
Waffe zurück und wies ihn darauf hin, dass es für Leute seines niederen Standes auch in Österreich verboten sei, öffentlich Waffen zu tragen, und bei Zuwiderhandlung eine lange Kerkerhaft drohe.
Der Riese blickte Ulrich an und zog einen Mundwinkel grinsend nach oben, bevor er antwortete: »Sag mir: Wer sollte sie mir abnehmen?«
Während Ulrich Dreyling von Wagrain sein Gegenüber von oben bis unten musterte, musste auch er grinsen: »Da hast du recht. Außer mir wird dies wohl niemandem gelingen.«
»Und du hast auch nur Glück gehabt, dass du mich besiegen konntest, weil du mich unversehens an meiner empfindlichsten Stelle getroffen hast.«
Die beiden Männer reichten sich die Hände zum Frieden, während sie ob ihres unglücklichen Kennenlernens lauthals lachen mussten. Dabei behielt der Kastellan eine Hand am Heft seines Säbels.
»Sag mir, Jodok, warum gibt es hier keine Pferde mehr?«
»Ganz einfach: Alle Rösser wurden von Vorarlberger Truppen für Kriegszwecke konfisziert.«
»Dann ist der europäische Glaubenskrieg also doch schon bis hierher vorgedrungen?«
»Nein! Zumindest glaube ich das nicht. Ich selbst habe in Sigmaringen zwar schon viel davon mitbekommen und … «
»Du warst in Sigmaringen?«, fragte der immer neugieriger werdende Schlossverwalter, der es noch vermied, von sich selbst etwas preiszugeben.
»Ja! Als ich vor drei Jahren dort angekommen bin, hatten die Schweden gerade das Hohenzollern’sche Schloss besetzt. Erst im Jahr darauf konnte es durch kaiserliche Truppen aus feindlicher Hand zurückerobert werden. Deren General ist dabei nicht gerade zimperlich vorgegangen und hat sogar in Kauf genommen, dass der Ostteil des Schlosses durch einen Brand zerstört worden ist.«
»Ja, ja, diese dreckigen Schweden haben auch im Allgäu schon viel Schaden angerichtet.«
»Sowohl die gottverdammten Lutheraner als auch unsere Katholischen werden wie alle Soldaten auf der gleichen Seite stehen«, spöttelte Jodok, der dadurch ebenfalls ungewollt von sich preisgab, dass er ein streitbarer Katholik war.
»Wie meinst du das? Auf welcher Seite?«
»Auf der Seite, wo es etwas zum Abgreifen und zu fressen gibt.«
»Du bist zwar derb in deiner Ausdrucksweise, aber offensichtlich gescheiter, als du dich gibst … Berichte weiter, Jodok.«
»Ich weiß nicht nur, was in der Hauptstadt des Hohenzollern’schen Fürstentums vor sich geht, sondern auch, dass es gerade das Allgäu – von wo aus einzelne Truppenteile unaufhaltsam nach Vorarlberg ziehen – derzeit besonders hart trifft. Aber bis hierher ist dieser unselige Krieg noch nicht ganz vorgedrungen. Wir brauchen ihn auch nicht, da wir uns auch ohne ihn die Köpfe einschlagen. Wir haben hier ständig unsere eigenen Fehden.«
»Was für Streitereien denn? Erzähl mir mehr davon«, bat Ulrich.
»Wir brauchen hier weder Gustav Adolfs noch Habsburger Truppenverbände. Unsere Soldaten werden auch so schon über Gebühr in Anspruch genommen. Die Vorarlberger Truppen haben genügend mit dem Grenzkrieg gegen das eidgenössische Graubünden zu tun, und selbst ohne den Krieg der Schweden gegen die Kaiserlichen gibt es ausreichend Probleme. Auch hier leidet man Hunger. Die Kriegsschauplätze verlagern sich mehr und mehr vom Süden des Landes in den Norden, was so viel heißt, dass die Ortschaften nördlich von Bregenz, vor allen Dingen das Leiblachtal und Teile des Allgäus, die zu Vorarlberg gehören, betroffen sein werden. Eine Scheißzeit!«
»Aha! Darum habe ich heute früh einen Trupp Soldaten in Lindenberg gesehen. Ich glaubte, Fahnen unseres Kaiserhauses erblickt zu haben, konnte sie aber nicht sicher erkennen, weil kein Lüftchen geweht hat, das sie hätte flattern lassen. Außerdem haben dicke Rauchschwaden meinen Blick getrübt. Vielleicht waren es auch Vorarlberger? Ich weiß es nicht. Zurzeit wird wohl niemand den richtigen Durchblick haben und wissen, wer eigentlich wo gegen wen kämpft«, schloss der Kastellan daraus.
»Ich habe doch schon gesagt: Eine Scheißzeit!«
»Und was hast du von der Pestilenz mitbekommen?«, legte der Staufner nach.
»Wie ich noch im Klost …«, Jodok räusperte sich und korrigierte die Ouvertüre zu dem, was er berichten wollte: »Wie mir ein fahrender Händler noch vor meiner Abreise nach Sigmaringen berichtet hat, muss Ende der zwanziger Jahre wohl die Hälfte der Bevölkerung Dornbirns daran gestorben sein, während Bludenz verschont geblieben ist. Was diesbezüglich in Bregenz los war und wie es
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