Der Peststurm
heute in Vorarlberg aussieht, weiß ich nicht, weil ich zu lange fort war. Auf meinem Rückweg vom Donautal durch das Oberschwäbische hierher an den Bodensee habe ich allerdings die grausamsten Dinge … «, Jodok schluckte, »und auch viele Tote gesehen, denen die Rattenflöhe zum Verhängnis geworden sind.«
Jetzt wusste der Staufner gewiss, dass sein Gesprächspartner gebildet sein musste, weswegen er ihn fragte, ob er lesen und sogar etwas schreiben könne.
»Non scholae, sed vitae discimus« , kam die prompte Antwort, als wenn es selbstverständlich wäre, diese Künste zu beherrschen.
»Du kennst dich nicht nur mit Latein aus, du scheinst es auch zu beherrschen, oder?«, stieß Ulrich erstaunt hervor.
»Na klar!«
Der Schlossverwalter blickte ungläubig zu dem zwar ungepflegt und verhauen aussehenden, dennoch irgendwie fein wirkenden Hünen hoch, um dessen Augen zu suchen. »Wer bist du wirklich?«
Jodok kaute auf seinen Fingernägeln herum und überlegte lange, welche Variante aus seinem vielseitigen Antwortenschatz er herauskramen sollte, bevor er sich dazu entschloss, seinem neuen Bekannten zwar nicht die volle Wahrheit zu sagen, ihn aber auch nicht ganz zu belügen.
»Also gut: Ich habe doch gerade erst erwähnt, dass ich für längere Zeit in Sigmaringen war.«
»Ja, und?«
Jodok ließ sich mit der Beantwortung Zeit. »Ich war auf der Suche nach meiner Identität.«
»Du hast deine familiären Wurzeln gesucht?«
»Ja! Und aufgrund einiger Grundinformationen, über die ich schon längst verfügt habe, bin ich auch fündig geworden.«
»Mensch! Nun mach es doch nicht so spannend. Wer bist du?«
Jodok sah lange zum Himmel, bevor er sein Haupt senkte und Ulrich fast ebenso lange in die Augen blickte: »Ich bin der uneheliche Sohn eines Hohenzollernfürsten.«
»Was«, kam es mehr in einer entsetzten Feststellung als fragend zurück.
»Ja! Mein leiblicher Vater ist Fürst Johann von Hohenzollern-Sigmaringen, der mit einer Wild- und Rheingräfin, die ich aber leider nicht meine Mutter nennen kann, verehelicht ist.«
»Was«, entfuhr es dem Kastellan abermals im selben Ton wie zuvor. »Wie alt bist du?«
»Mein wunderschönes Antlitz durfte in den Iden des März Anno Domini 1609 zum ersten Mal der glitzernden Sonne ein noch strahlenderes Lächeln entgegensetzen«, antwortete Jodok spaßeshalber, während er sich von seinem steinernen Sitz erhob und eine ehrerbietige Bewegung vollführte, der es nur noch an der passenden Cuculle mangelte, um an die höfischen Gesten eines Mitgliedes des Hochadels zu erinnern.
Der Kastellan musste zwar wieder lachen, ließ sich aber nicht von seiner Neugierde ablenken. »Dann bist du heute im 26. Jahr deines Lebens?«
»Ich vermag nicht, dies zu leugnen.«
»Weißt du noch mehr um deine Geburt?«
»Bis vor Kurzem nicht! Nachdem ich ein Bastard – zwar von ›zweifachem Blute‹ – bin, musste man mich schnellstens nach meiner Geburt von der Bildfläche verschwinden lassen.«
Der Kastellan staunte nicht schlecht, als er dies hörte. »Wenn du behauptest, von doppeltem Blute zu sein, heißt dies, du weißt, dass auch deine leibliche Mutter dem Hochadel angehört.«
»Ja! Als ich in Sigmaringen war, habe ich das Glück gehabt, mich im Schloss Hohenzollern beim Wiederaufbau des niedergebrannten Ostflügels verdingen zu können. Auf diese Weise ist es mir gelungen, mich für eine feinere Arbeit innerhalb des Schlosses zu empfehlen.«
»Was für eine Art Arbeit? Und was hat die mit deiner Mutter zu tun?«
»Das spielt jetzt keine Rolle. Jedenfalls habe ich im unzerstörten Teil des Schlossinneren gearbeitet und dadurch die Möglichkeit gehabt, meine ganze Herkunft in Erfahrung zu bringen. Zudem war mir das Glück hold. Wäre meine Mutter anstatt einer Hochadligen eine Niederadlige oder nur eine Bürgerliche, womöglich gar ein Weib aus dem einfachen Landvolk, wäre nichts aufgeschrieben oder die Niederschrift meiner Geburt wieder vernichtet worden, bevor sie in die Abschrift der Hohenzollern’schen Wappenrolle aufgenommen worden wäre.«
»Warum nur in die Abschrift und nicht in das Original der Wappenrolle?«, fragte Ulrich, selbst adlig, verständnislos.
»Ganz einfach. Weil die Abschrift die Wahrheit über alle Hohenzollern-Abkömmlinge birgt, weswegen sie in einer mehrfach verschlossenen Truhe verwahrt wird. Nur die verlogenen ›Originale‹ finden den Weg in die Öffentlichkeit. Alles klar?«
Während Ulrich über das soeben Gehörte grübelte, fuhr
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