Der Peststurm
Jodok mit seiner interessanten Erzählung fort: »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte man mich gleich nach meiner ungewollten Geburt dem Katzentod anheimgegeben, indem man mich in einen Sack gesteckt und ertränkt hätte. So aber durfte ich leben.«
Jodok musste erst tief einatmen, bevor er weitererzählen konnte: »Ich war kaum mit der ersten Bruche umwickelt, als man mich meiner leiblichen Mutter entrissen und in ein entferntes Kloster gebracht hat, in dem ich aufgewachsen bin und wo man einen demütigen Diener Gottes aus mir machen wollte.«
»Und warum bist du das nicht geworden und in diesem Kloster geblieben?«
»Alles ist nichts und nichts ist alles. Jedenfalls ist es eine lange Geschichte, die ich dir hier und jetzt nicht erzählen kann«, wollte Jodok das Thema beenden.
»Bevor ich dir etwas von mir berichten kann, sag mir bitte, wer denn nun deine leibliche Mutter ist«, wollte Ulrich Dreyling von Wagrain noch eine Frage beantwortet haben.
»Eine geborene Truchsess und spätere Landgräfin von Waldburg, deren curriculum vitae ich sehr genau studiert habe«, kam es wie aus der Muskete geschossen, »sie muss schon ein rechtes Luder … , aber ein saugut aussehendes Weib gewesen sein.« Trotz der letzten Aussage klang es fast so, als wäre er stolz auf die Frau, die ihn zwar geboren, dann aber weggegeben hatte.
Für den Kastellan war diese Aussage ein weiteres Indiz dafür, dass er es tatsächlich mit keinem dummen Wegelagerer, sondern mit einem feinfühligen Menschen in einer harten Rüstung zu tun hatte. »Erzähl weiter«, forderte er Jodok auf, der jetzt doch wieder redselig zu werden schien.
»Na gut: Nachdem ich alles über meine Herkunft in Erfahrung gebracht habe, bin ich aus Sigmaringen fortgegangen und habe auf meinem Weg von dort nach Vorarlberg noch eine längere Zeit in einem oberschwäbischen Kloster verbracht.«
»Du bist fürwahr von zweifachem Blute, auch wenn du ein Bastard bist … , und außerdem bist du in meinen Augen jetzt kein gewöhnlicher Straßenräuber mehr, sondern ein echter Raubritter, wovon ich mich ja selbst überzeugen konnte. Ich verneige mich vor dir.«
Während der Kastellan diesen spöttischen Satz aussprach, wollte er spaßeshalber eine ehrerbietige Verneigung demonstrieren, wurde aber sofort am Arm gepackt und wieder hochgezogen. »Hör mit den Possen auf! Sag mir lieber, was du mir über dich zu erzählen gedenkst.«
Jetzt benötigte der Kastellan eine gewisse Zeit des Überlegens und musste sich räuspern, bevor er loslegen konnte: »Ich selbst stamme aus dem rothenfelsischen Herrschaftsgebiet, das im Allgäu liegt und vom Reichsgrafen Hugo zu Königsegg regiert wird. Dessen Gemahlin Maria Renata ist eine … « Bevor er den Satz beendete, sah er Jodok vielsagend an: »Hohenzollernprinzessin! Sie wurde zwar vor genau 22 Jahren im Hohenzollernschloss Hechingen geboren, stammt aber vom Sigmaringer Zweig der Familie ab. Dein Vater, Fürst Johannes, ist auch der ihrige. Somit ist sie zweifelsfrei deine Halbschwester.«
Da diese Aussage bei Jodok für Überraschung gesorgt hatte, war es ein Weilchen still. »Du sprichst Unglaubliches recht locker aus. Das heißt, dass du etwas davon verstehst und selbst von Adel bist. Aber du hast recht, dies lässt sich jetzt unschwer daraus schließen«, beendete er die Stille und wartete darauf, dass Ulrich weiterspräche und endlich etwas über sich preisgeben würde, was er denn auch tat.
»Ich heiße Hannß Ulrich Dreyling von Wagrain … aber alle nennen mich entweder nur Ulrich oder Kastellan. Da ich der Verwalter des dem Grafen gehörenden Schlosses Staufen bin, habe, oder besser gesagt, hatte ich hin und wieder auch mit der Gnädigen zu tun. Übrigens: Sie ist zwar bei Weitem nicht so groß wie du, sieht dir aber irgendwie ähnlich.«
»Warum sagst du, dass du öfter mit ihr zu tun gehabt hattest – ist sie tot?«
»Um Gottes willen! Nein! Da seit Jahren immer wieder die Pestilenz in irgendeinem Teil des rothenfelsischen Herrschaftsgebietes wütet, weilt die gräfliche Familie derzeit bei einem Bruder des Grafen in Konstanz.«
»Bei Berthold?«
»Ja! Du kennst ihn?«, fragte der Kastellan staunend.
»Natürlich! Er ist dort Domschatzmeister und Kirchenscholaster . – Er war eine Zeit lang mein Lehrer. Meine mir unbekannte Halbschwester ist jetzt also eine Königseggerin?«, sinnierte der groß gewachsene Mann.
Ulrich, der sich jetzt über gar nichts mehr wunderte, sah zum Himmel hoch, um
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