Der Pfad der Winde - Sanderson, B: Pfad der Winde - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1 (Part 2)
würde sie noch ein wenig die Gelehrte spielen.
7
DER ELENDE
»Sie lebten in der Wildnis und erwarteten stets die Wüstwerdung – oder manchmal auch ein dummes Kind, das sich nicht um die Finsternis der Nacht scherte.«
Ein Kindermärchen, ja, aber dieses Zitat stammt aus Schatten der Erinnerung und scheint auf die Wahrheit hinzudeuten, nach der ich suche. Siehe Seite 82, viertes Märchen.
K aladin erwachte mit einem Gefühl des Schreckens. Es war ihm vertraut.
Er hatte den größten Teil der Nacht auf dem harten Boden verbracht, in die Dunkelheit geblickt und nachgedacht. Warum sollte er es versuchen? Warum war ihm nicht einfach alles egal? Es gab keine Hoffnung für diese Männer.
Er fühlte sich wie ein Wanderer, der den Weg in die Stadt verzweifelt suchte, um den wilden Tieren zu entkommen. Aber die Stadt befand sich auf einem steilen Berg, und von welcher Seite aus er es auch immer versuchte, es war stets das Gleiche. Der Aufstieg blieb unmöglich. Hundert verschiedene Pfade. Immer dasselbe Ergebnis.
Auch wenn er seine Bestrafung überlebt hatte, seine Männer
würde das nicht retten. Sie waren nichts anderes als Köder. Und die Güte des Köders änderte nichts an dessen Zweck oder seinem Schicksal.
Kaladin zwang sich auf die Beine. Er fühlte sich abgenutzt, wie ein Mühlstein, der sich zu lange gedreht hatte. Noch immer begriff er nicht, aus welchem Grund er eigentlich überlebt hatte. Hast du mich beschützt, Allmächtiger? Hast du mich gerettet, damit ich zusehen kann, wie meine Männer sterben?
Es wurde erwartet, dass man Gebete verbrannte, die auf diese Weise zum Allmächtigen geschickt wurden. Er wiederum wartete darauf, dass die Herolde die Stillen Hallen zurückeroberten. Das hatte für Kaladin noch nie einen Sinn ergeben. Angeblich sah und wusste der Allmächtige alles. Warum war es dann nötig, ein Gebet zu verbrennen, bevor er etwas tat? Und warum brauchte er überhaupt jemanden, der für ihn kämpfte?
Kaladin verließ die Baracke und trat ins Licht. Dann erstarrte er.
Die Männer hatten eine Reihe gebildet und warteten. Es war ein abgerissener Haufen in braunen Lederwesten und kurzen Hosen, die bis zu den Knien reichten. Schmutzige Hemden, die vorn geknöpft und deren Ärmel bis zu den Ellbogen hochgerollt waren. Staubige Haut, Büschel aus zotteligem Haar. Doch dank Fels’ Geschenk hatten sie nun alle entweder gestutzte Bärte oder sauber rasierte Gesichter. Alles andere an ihnen war zerschlissen. Aber immerhin – ihre Gesichter wirkten rein.
Zögernd hob Kaladin die Hand an das Gesicht und berührte seinen ungepflegten schwarzen Bart. Die Männer schienen auf etwas zu warten. »Was ist los?«, fragte er.
Die Männer regten sich unbehaglich und warfen Blicke zum Holzplatz. Natürlich warteten sie darauf, dass er wieder die Übungen mit ihnen aufnahm. Aber es war nutzlos. Er öffnete den Mund und wollte es ihnen sagen, doch er zögerte, als er
eine Bewegung auf sie zukommen sah. Es waren vier Männer, die eine Sänfte trugen. Ein großer, dünner Mann in einem violetten Hellaugen-Mantel ging daneben her.
Die Brückenmänner drehten sich um. »Was ist das denn?«, fragte Hobber und kratzte sich am Hals.
»Das wird Lamarils Ersatz sein«, sagte Kaladin und bahnte sich sanft einen Weg zwischen den Brückenmännern hindurch. Syl flatterte herunter und landete auf seiner Schulter, als die Sänftenträger vor Kaladin anhielten und sich zur Seite drehten, wobei sie eine dunkelhaarige Frau in einem eng anliegenden violetten Kleid enthüllten, das mit goldenen Glyphen geschmückt war. Sie lag seitlich auf einem Sitz voller Kissen; ihre Augen waren blassblau.
»Ich bin Hellheit Haschal«, sagte sie mit einem leichten Kholinar-Akzent. »Mein Gemahl, Hellherr Matal, ist euer neuer Hauptmann.«
Kaladin schluckte eine Bemerkung herunter. Er hatte einige Erfahrung mit Hellaugen, die in solche Positionen befördert worden waren. Matal selbst sagte nichts; er stand bloß neben der Sänfte und hatte die Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt. Er war groß – beinahe so groß wie Kaladin –, aber sehr dünn. Er hatte zarte Hände. Sein Schwert war noch nicht oft benutzt worden.
»Man teilte uns mit, dass diese Mannschaft häufig Schwierigkeiten mache«, fuhr Haschal fort. Sie kniff die Augen zusammen und sah Kaladin eindringlich an. »Offenbar hast du das Urteil des Allmächtigen überlebt. Ich habe eine Nachricht für dich – von deinem Herren. Der Allmächtige hat dir eine neue
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