Der Pfad des Kriegers (German Edition)
Palisade schwang. So schnell es seine müden Beine zuließen, begab er sich zu Eowyn. Dieser hatte gerade einem neben ihn stehenden Krieger einen Speer entrissen und setzte zum Wurf an.
„Nicht, Eowyn!“
Der alte Krieger, dessen grauer Bart voller Blut war, schaute ihn aus müden Augen an.
„Das hat doch keinen Sinn mehr! Wenn Brendan nicht kommt, sind wir so oder so verloren!“
Eowyn ließ den Speer langsam sinken. Als die Kämpfe in der Nacht begonnen hatten, hatte Eowyn sich mit seinen Männern zur Burg durchgeschlagen. Er, den er davon gejagt hatte, ausgerechnet er hatte ihm die Treue gehalten. Viele andere, an die er geglaubt, denen er vertraut hatte, hatten dies nicht getan.
„Wir sollten darüber nachdenken, uns in den Turm zurückzuziehen! Wir haben nicht mehr genug Männer, um die langen Wälle zu halten.“
Sion nickte und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen.
„Ich hatte eine glorreiche Zukunft für diese Stadt geplant. Öffentliche Brunnen, Abwasserkanäle, Armenhäuser und so viele Dinge mehr, die den Menschen hier geholfen hätten. Ja, vielleicht eines Tages sogar Schulen wie auf dem Kontinent. Und jetzt verbrennt die Stadt zu Asche und mit ihr meine Träume.“
„Mein König, ihr müsst eine Entscheidung treffen, soll ich den Befehl geben, dass wir uns …?“
„Nein, Eowyn, wir wollen das Schicksal nicht hinausschieben. Ich schätze es sehr, dass ihr hier seid, mehr vielleicht als ihr euch denken könnt, aber das Ende ist uns beiden doch klar.“
„Meint ihr nicht, dass Brendan vielleicht …?
„Brendan? Der wird gerade auf der Suche nach einem Schiff sein. Oder seine Fingernägel feilen. Nein, auf Brendan würde ich nicht hoffen.“
„Aber er hat es geschafft, die Stadt zu verlassen. Wenn er es schafft zu unserem Stamm durchzukommen, dann ...“
„Sind sie frühestens in zwei Tagen hier und selbst dann müssen sie sich noch durch tausend oder zweitausend Belagerer kämpfen. Bis dahin sind wir längst tot. Es ist vorbei, Eowyn, und es tut mir leid, dass du mit mir sterben musst.“
„Ich habe es selbst so gewählt. Ich habe Eurem Vater versprochen euch zu beschützen und dieses Versprechen werde ich halten. Bis zu meinem Tod.“
Sion legte Eowyn eine Hand auf die Schulter. Tränen standen ihm im Gesicht.
„Ich danke dir.“
„Sie kommen!“
Sion drehte sich um. Das Tor. Der Schrei kam vom Tor. Hatten sie etwa einen Rammbock gebaut?
Sion eilte zu der Wache, die den Ruf ausgestoßen hatten, Eowyn blieb dicht hinter ihm.
Eine Gruppe von dreißig oder vierzig Aufständischen kam auf das Tor zu. Langsam und mit gezogenen Waffen, trotz einer großen weißen Fahnen. Sie wollten also verhandeln. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie auf Rufweite heran waren. Ihm sollte das recht sein. Es verlängerte sein Leben wenigstens um ein paar Minuten. Auch wenn das eigentlich keine große Rolle mehr spielte.
„Was wollt ihr?“, rief Eowyn die Gruppe an.
Ein Krieger in voller Rüstung trat vor. Erst als er anfing zu sprechen, erkannte Sion ihn. Es war Dain, der junge Führer des Stammes der Sulevi. Erst hatte Dain seinen Vater an Sion ausgeliefert und war mit seiner Hilfe an die Macht gekommen, jetzt verriet er ihn. Man sollte einem Verräter eben nicht trauen, aber dafür war es jetzt ohnehin zu spät.
„Lebt der König noch?“
Sion machte einen Schritt nach vorne und stand jetzt an Eowyns Seite.
„Ja, Dain, ich lebe noch!“
„Du weißt, dass wir dich nicht leben lassen können. Deswegen richte ich mich auch nicht an dich“, seine Stimme war bei den letzten Worten immer lauter geworden: „sondern an all die, die du mit in den Untergang reißen willst! Wenn ihr den König ausliefert, dann werden wir euch am Leben lassen! Wenn wir aber die Burg stürmen müssen, seid ihr des Todes! Ihr habt eine Stunde!“
Dain hatte sich kaum umgedreht, da hatte Eowyn schon in einer einzigen schnellen Bewegung sein Schwert gezogen und sich schützend vor Sion gestellt. Doch seine Vorsicht war unbegründet. Niemand auf dem Hof machte Anstalten etwas gegen den König zu unternehmen. Die, die jetzt noch hier waren, würden ihn nicht verraten. Seann, der alte Hausdiener seines Vater, Verna, die Köchin, die mit dem Schwert ihres toten Mannes in der Hand am Wall stand, seine alte Leibgarde, die er mit Eowyn verbannt hatte und all die anderen, die sich aus irgendeinem Grund entschlossen hatten zu bleiben, als die meisten anderen über die Mauer gesprungen waren, um sich in
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