Der Pfad des Kriegers (German Edition)
den Zehenspitzen stehend konnte Thomas jetzt Hafgrimr sehen, wie er sich mit einer großen Axt in der Hand einen Weg durch die Menge bahnte. Er war riesig, kräftiger als Urt, der Schmied aus Thomas Dorf und dabei doppelt so alt. Mit seinen langen rot-grauen Haaren und seinem kantigen Gesicht sah er aus wie eine Gestalt aus den alten Sagen. Die hatte seine Mutter ihnen früher immer zum Einschlafen erzählen. Bevor er anfing, das kindisch zu finden. Jetzt war seine Familie vermutlich tot und er würde wohl nie wieder die alten Geschichten seines Volkes hören, dabei wünschte er sich nichts mehr als wieder daheim zu sein. Doch wenn ihm eins klar wurde bei den Geschichten der Maegrin, deren Sprache er inzwischen immer besser verstand, dann dass sein Volk den Krieg verlor. Kaum ein Tag verging, ohne eine weitere Siegesmeldung aus dem Süden.
Inzwischen hatte Hafgrimr die Hinrichtungsstätte erreicht und die gerade noch so unruhige Menge verfiel in ein gespanntes Schweigen. Alle reckten und streckten sich. Bei den Llaevin gab es keine Hinrichtungen. Zumindest nicht bei seinem Stamm. Wie es weiter im Süden und Norden aussah, wusste er nicht genau. Mörder mussten sich in den Dienst der Familie des Getöteten stellen, um den Verlust auszugleichen. Aber in seinem ganzen Leben hatte nur ein Mann in seinem Dorf einen anderen getötet. Diebstähle gab es kaum, das meiste gehörte sowieso allen gemeinsam.
Ein leises Raunen ging durch die Menge, als Hafgrimr die Axt zum Schlag erhob. Der Axtkopf blitzte im Sonnenlicht, bevor sich die Axt schneller als das Auge folgen konnte nach unten bewegte. Der Kopf des Mannes fiel herunter, bevor, seltsam zeitverzögert, auch der Rest des Körpers umfiel. Kurz streckte Hafgrimr die Axt Richtung Himmel, bevor er von der Plattform heruntertrat. Fast augenblicklich zerstreute sich die Menge und kleine Gruppen eifrig redender Männer und Frauen, scheinbar unbeeindruckt von der Hinrichtung, machten sich daran, ihre unterbrochenen Arbeiten wieder aufzunehmen. Nur Thomas blieb stehen, so sehr er auch gehen wollte. Er war Hafgrimrs Diener und so musste er hier warten, denn noch hatte er keine Aufträge für den Rest des Tages erhalten. Auch Hafgrimrs Enkel, der Mann, der ihn auf dem langen Marsch versorgt hatte, wartete auf seinen Großvater, nur wenige Meter entfernt von Thomas. Die Ähnlichkeit der beiden Männer war nahezu unheimlich.
„Weißt du, warum ich ihn getötet habe?“, fragte Hafgrimr Thomas, dabei bewusst langsam sprechend.
„Weil er einen Menschen getötet hat“, sagte Thomas mit ausdrucksloser Stimme.
„Nein, deswegen wurde er getötet. Aber warum habe ich es getan?“
Verständnislos schaute Thomas ihn an. Was Hafgrimr aber nur dazu brachte die Frage zu wiederholen. Mit fragendem Blick schüttelte Thomas den Kopf.
„Weil ich dem Gericht vorstand und das Urteil verkündet habe. Wenn man einen Mann zum Tode verurteilt, muss man ihn auch selbst töten. Wenn man dazu nicht bereit ist, sollte man ihn nicht verurteilen.“
Stumm nickte Thomas. Konnte sich dann aber nicht zurückhalten und fragte in gebrochenem Maegrin:
„Warum musstet ihr ihn töten? Hättet ihr nicht einfach verstoßen können?“
Hafgrimr schüttelte den Kopf:
„Nein, das wäre grausamer gewesen als ihn hinzurichten. Ein Mann ist nichts ohne die Gemeinschaft um ihn herum. Das wäre ein viel grausamer, langsamerer Tod gewesen, als das, was ich ihm gegeben habe.“
Wieder nickte Thomas nur, um dann nach seinen Aufgaben für den Rest des Tages zu fragen. Mit einer gewissen Verzweiflung in den Augen schaute Hafgrimr ihn an.
„Du kannst den Rest des Tages den Frauen auf dem Feld helfen. Komm einfach heute Abend rechtzeitig zurück, wenn du noch etwas zu essen willst.“
Als er an dem Feld ankam, war schon fast ein Dutzend Frauen und Kinder damit beschäftigt, die Rüben und Knollen aus dem harten Boden zu graben. Die Maegrin lebten in erster Linie vom Fischfang und von etwas Viehzucht, trotzdem hatten sie einige Felder um die Siedlung herum angelegt, auf denen sie hauptsächlich Gemüse anbauten. Es war eine magere Ernte. In zwei Monaten hätten sie die doppelte Menge ernten können, doch die Maegrin hatten zu spät gesät, um noch so lange warten zu können. Der Winter war schon zu nah. Die Frauen und Kinder begrüßten ihn mit einem kurzen, aber nicht unfreundlichen Kopfnicken und Thomas suchte sich eine freie Bahn und fing an zu graben. Schnell fingen seine Finger an zu schmerzen, der Boden war
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