Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Platz ist nirgends als im Angesicht des Kaisers«, zischte er. »Meurnau kommt mit seiner Kriegsführung recht gut ohne mich zurecht.«
»Grenouille«, sagte sie, »darum geht es doch gar nicht. Du bist schließlich erst vierzehn.«
Mit verzerrtem Gesicht wirbelte er zu ihr herum. Natürlich – für sie war er nichts als ein Kind. Ein kleiner Junge. »Er hat meinen Vater getötet.«
»Das weiß ich doch«, flüsterte sie und streichelte ihm beruhigend die Wange.
»Und ich werde ihn töten.«
Ihre Hand hielt inne, in ihren Augen flackerte Angst auf.
»Ja, ich werde den Kaiser töten«, bestätigte er. »Für die Kaiserlichen bin ich jetzt Grenouille. Ich habe einem Ritter geholfen, der sich in den Salinen verirrt hatte. Er hat mich zu seinem Knappen gemacht. Und so werde ich jetzt selbst ein großer Ritter und kann meine Familie rächen. Meurnau hat nie nach mir gesucht.«
»Wie bitte? Wie kannst du …« Esyld war sprachlos.
»Ich weiß es genau«, trumpfte er auf. »Ich habe es selbst gehört. All diese Berichte über Laerte, der den Aufstand anführt. Nachdem er mich nicht mehr unter seiner Fuchtel hat, benutzt er meinen Namen, um sein Ansehen aufzubauschen. Soll er seinen Krieg doch führen, wie er will. Ich jedenfalls werde erst Frieden finden, wenn ich Reyes getötet habe.«
»Aber denkst du denn gar nicht an zu Hause?«
Und wie er daran dachte. Jeden Tag, seit über einem Jahr. Trotzdem legte er in seinen Blick nichts als Entschlossenheit, um Esyld davon zu überzeugen, dass es für ihn keine Zweifel gab.
»Ich habe mich entschieden, Esyld«, fuhr er fort. »Ich habe bereits Dinge getan, die …«
MADOG!
»Jedenfalls kann ich nicht mehr zurück.«
Er strahlte eine Würde und Ruhe aus, deren er sich nie für fähig gehalten hatte.
»Wenn es das ist, was die Götter wollen«, hauchte Esyld und schlug die Augen nieder.
»Die Götter haben nichts damit zu tun«, widersprach er. »Ich entscheide selbst über mein Leben.«
Endlich war ihm klar geworden, dass er tatsächlich in der Lage war, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. In den Salinen hatte er immer nur das getan, was man von ihm verlangte. »Ich habe über meine Zukunft entschieden, Esyld.«
Sie schenkte ihm ein zögerliches Lächeln, weil sie begriff, dass er keinen Einwand dulden würde.
»Du bist stolz geworden«, sagte sie und schob die Hand in ihre schmutzige Korsage. »Hast du keine Angst, eines Tages so zu werden wie die Person, für die du dich ausgibst?«
Mit diesen Worten zog sie ein Holzfigürchen hervor, das er sofort wiedererkannte. Es war das kleine Pferd, das sein Vater geschnitzt hatte. Sie behielt es in der Hand.
»He, du da drüben!«, rief plötzlich eine grobe Stimme.
Einer der Soldaten, der den Flüchtlingszug begleitete, kam auf sie zu. Esyld griff nach Laertes Hand, drückte das Spielzeug hinein und schloss seine Finger darüber.
»Sofort zurück in die Kolonne!«, bellte der Soldat und packte sie.
»Damit du nie vergisst, wer du wirklich bist.«
»Lasst sie los!«, knurrte Laerte den Soldaten an.
Eine laute Stimme gebot ihm Einhalt.
»Grenouille!«
Dun stand oben auf dem Turm, lehnte sich an die Brüstung und blickte auf ihn herab. Ehe Laerte eine Entschuldigung für sein Verhalten einfiel, spürte er, wie Esyld seine Hand drückte.
»Vergiss es nie, Grenouille«, sagte sie, während der Soldat sie auf die Straße zurückzerrte. »Vergiss nie, wer du wirklich bist. Niemals!«
Mit einer hastigen Bewegung riss sie sich aus dem Griff des Soldaten los. Alles ging so schnell, dass ihm keine Zeit für eine Reaktion blieb. Die Lippen des jungen Mädchens pressten sich sanft auf seinen Mund. Gleichzeitig streichelte sie ihm zärtlich über die Wange. Der Kuss war feucht, erstaunlich feucht. Aber so wundervoll! So berauschend! Sie schmiegte sich an ihn, als ob sie schon immer, von jeher und für alle Zeit zu ihm gehörte.
»Hierher, und zwar ein bisschen plötzlich!«, brüllte der Soldat und riss sie von Laerte fort.
Der Junge stand wie vom Donner gerührt. Noch immer spürte er den süßen Geschmack ihres Kusses auf den Lippen.
»Damit du mich nicht vergisst«, flüsterte sie ihm noch hastig zu.
Der Soldat zerrte sie zurück in den Flüchtlingsstrom, und aus ihrem Flüstern wurde ein Schrei. Sie schrie ihre Wahrheit in die Welt hinaus und zerriss ihm damit das Herz.
»Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben. Mein ganzes Leben lang. Vergiss mich nicht. Vergiss uns nicht. Grenouille! Vergiss
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