Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
General betrachtete sie. Er spürte ihre plötzliche Befangenheit.
»Ihr und er?«
»O nein, nein«, erwiderte sie hastig. »Im Grunde kenne ich ihn kaum und bin mir nicht einmal sicher, ob er meine Existenz überhaupt wahrnimmt.«
Sie errötete. Nein, natürlich waren die beiden nicht zusammen, aber jetzt konnte sie nicht mehr leugnen, dass sie Gefühle für Grenou… Laerte hegte. Ihn wollte sie – mit Dun hatte das alles nichts mehr zu tun. Der alte Mann wünschte nichts sehnlicher, als dieses Zimmer zu verlassen, alles zu vergessen, was er gesehen hatte, und zu trinken, bis er keinen Durst mehr verspürte.
Aber warum stand er dann nicht einfach auf, ging durch die Tür, setzte den Nâaga außer Gefecht und mischte sich unter die Nachtschwärmer Masalias? Warum blieb er hier?
Grenouille hatte er verloren, doch jetzt entdeckte er Laerte von Uster. Dabei wusste er nicht im Geringsten, was sich in der Zwischenzeit abgespielt hatte, damit alles einen Sinn ergab. In seinem Gedankenchaos war Viola die einzige tröstliche Konstante.
»Warum seid Ihr eigentlich hier?«, fragte er. »Seid Ihr wirklich nur Historikerin?«
»Ja.« Sie nickte langsam. »Ja, ich bin wirklich Historikerin an der Großen Universität. Aber die Ausbildung kostet viel Geld. Mädchen wie ich, deren Eltern einfache Leute sind, können Patenschaften in Anspruch nehmen. Mein Pate ist ein Ratsherr namens De Page. Ein guter, integrer Mensch, dem ich natürlich im Gegenzug etwas schulde.«
»De Page? Der hat also auch sein Schäfchen ins Trockene gebracht«, presste Dun zwischen den Zähnen hervor.
Noch einer von denen, die von der Gunst des Kaisers profitiert hatten, um ihn anschließend fallen zu lassen, als wäre er ihm nie wichtig gewesen. Herzog De Page war für seine wollüstigen Feste, seine saloppe Haltung und die wüsten Gerüchte bekannt gewesen, die über ihn in Umlauf waren. Ein lasterhafter Mensch, den Dun auch schon zuzeiten seines Adelsdaseins zutiefst verachtet hatte. Ein Wurm in der Frucht, die der Kaiser nur allzu gern genoss.
»Wenn Ihr ihm so verpflichtet seid …«
»Er war es, der mich hergeschickt hat«, nickte Viola.
Ein willensschwacher Mensch, ja, ein Schwächling, der anderen immer nach dem Mund redete. Da gab es nicht viel zu verstehen. Sicher hatte er mit Katzbuckelei sein Leben gerettet und war Ratsherr geworden. Ob auch die anderen ihre eigene Würde mit Füßen getreten hatten, um an der Macht zu bleiben? Gab es überhaupt noch Ehre in dieser Welt? In Duns Kopf drehte sich alles.
»Aber warum ausgerechnet hier?«, ereiferte er sich mit einem Kloß in der Kehle. »Wegen Eraëd? Und warum werden die Ratsherrn ermordet? Was wollt ihr?«
Seine Kehle war so trocken, dass er die letzte Frage kaum noch hervorpressen konnte, obwohl sie vielleicht die wichtigste war.
»Warum hat er mir nie etwas gesagt?«
In seinen Augen standen Tränen. Er kämpfte verbissen dagegen an, trotzdem rollten ihm einige über die Wangen. Von sich selbst angewidert, stellte er fest, dass er nicht mehr wie früher ein Fels in der Brandung war. Die junge Frau legte ihre weichen Hände auf seine. Plötzlich hatte er das Gefühl, ziel- und haltlos zu stürzen.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete sie leise. »Vielleicht ist er jetzt gekommen, um Euch die Antwort zu geben.«
Er glaubte ihr keine Sekunde. Ein großer Teil seines Lebens war auf eine Lüge aufgebaut. Er hatte ihn geliebt, diesen Kleinen. Doch warum war Laerte aus dem Schatten hervorgetreten, obwohl ihr Plan dies nicht vorgesehen hatte? Er senkte den Kopf und betrachtete Violas Hände. Mit den Daumenspitzen strich sie über seine ledrige Haut.
»Es war Azdeki, der seinen Vater hat aufhängen lassen. Ist er seinetwegen hier?«, erkundigte er sich plötzlich, nachdem er seine Gefühle wieder unter Kontrolle hatte. Finster sah er ihr in die Augen. Stumm hielt sie seinem Blick stand.
»Azdeki, Negus – diejenigen, die dem Kaiser dienten und die Oratio von Uster auf dem Gewissen haben … Das ist die Verbindung, nicht wahr?«, fuhr Dun fort. »Nicht von ungefähr hat Gre…«
Er brach ab und atmete tief durch.
»… hat er das Aussehen von Logrid angenommen. Aber …«
Nachdenklich sah er Viola an. Er wollte nicht noch einmal im Chaos seiner Gedanken untergehen und bemühte sich, jedes Ereignis, jeden Satz und jede Einzelheit in seinem Gedächtnis zu einem zusammenhängenden Ganzen zusammenzufügen. Angefangen bei der Tatsache, dass Rogant vor der Bar gestanden und ihn gehindert
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