Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
blickte sie in den Hof hinunter. Nein, es gab sicher Gefährlicheres als Dun.
»Glaubst du, er wird versuchen, die Hochzeit zu verhindern?«, fragte sie unruhig, während sie zusah, wie sich die beiden Männer voneinander lösten.
»Ich kenne Laerte lang genug, um sicher zu sein, dass es nicht seine Art ist, etwas aufzugeben. Ganz gleich, was oder wer es ist. Wenn sie Balian Azdeki heiratet, müssen sowohl Aladzio als auch De Page Bescheid gewusst haben. Sie hatten gute Gründe, es ihm zu verschweigen. Aber jetzt, wo er es weiß, muss er selbst entscheiden, wem seine Loyalität gilt.«
Rogant und Viola waren sich im Klaren darüber, dass Laerte einzig nach seinem Kopf handeln würde. Er befehligte ihre Mission, und er entschied, was getan würde und was nicht.
»Er wird die Sache in den Sand setzen«, schimpfte Viola und ballte die Fäuste.
Rogant sah sie mit einem merkwürdigen Lächeln an. Unten im Hof bückte sich Dun, hob Eraëd auf und wog das Schwert nachdenklich in der Hand, ehe er ins Haus zurückkehrte.
Etwas später an diesem Morgen schlich sich Laerte aus dem Haus und hangelte sich an einer Regenrinne auf die Dächer hinauf. Er war sich der Gefahr bewusst. Ihm war klar, dass beim kleinsten Irrtum alles enden konnte, ehe er sein Ziel erreicht hatte. Das Buch konnte gut und gern noch einige Stunden warten. Dass Esyld aber gezwungen wurde, Azdekis Sohn zu heiraten, erforderte sein Einschreiten.
Schon seine Ritterehre gebot ihm, ihr zu Hilfe zu eilen. Davon konnte ihn nicht einmal die Vorstellung abhalten, dass er scheitern und damit ihre Chance, am Abend in den Palatio einzudringen, zunichte machen könnte. Er hatte einen Drachen bezwungen, an der Seite Duns gekämpft, den vier größten Generälen die Stirn geboten und schließlich ein langes Duell mit dem Tod gewonnen. Für ihn war nichts mehr unmöglich.
Geschickt von Dach zu Dach springend, erreichte er ungesehen das entgegengesetzte Ende der Stadt. Auf der Spitze eines hohen Hauses gegenüber der beeindruckendsten der drei Kathedralen wartete er, bis es Mittag schlug. Jenseits des Kirchturms schimmerte die runde Kuppel des Palatio.
Es ist leicht, mit dem Schwert zu kämpfen.
Vor den Toren des Gotteshauses versammelten sich Würdenträger – Ratsherrn, Gardeoffiziere und Edelleute in ihren feierlichsten Gewändern. Schon jetzt trugen die meisten von ihnen die bunten Masken, die alle Einwohner von Masalia am Abend zum Fest anlegen würden.
Doch um die eigenen Dämonen zu besiegen, taugt das Schwert nicht.
Vor der großen Freitreppe hielt eine rote, mit Gold verzierte Kutsche. Laerte sprang.
Ihr, die Ihr ohne Stolz am Boden liegt, erhebt Euch. Findet Eure Würde wieder.
Findet Eure Würde wieder.
»Denn Würde ist die einzige Waffe, die Euch vor den Mächtigen schützt«, rezitierte De Page.
Die Kutsche rumpelte. De Page, der auf einer purpurfarbenen Bank saß, wurde ordentlich durchgeschüttelt. Mit einer Hand hielt er sich am Fensterrahmen fest und warf einen kurzen Blick in die neblige Landschaft. Schemenhaft zeichneten sich tote Bäume im Dunst ab. Manchmal war auf einem knorrigen Ast eine krächzende Krähe zu sehen.
»Die einzige Waffe«, wiederholte er verträumt. »Die Würde.«
Er trug ein schwarzes Gewand, dessen einziger Schmuck eine goldene Gürtelschnalle war. Die Schäfte seiner schwarzen Handschuhe wurden zum Unterarm hin weiter, aus dem geschlossenen Kragen baumelte ein Schmuckanhänger. So nüchtern hatte Laerte ihn nicht in Erinnerung. Ihr erstes Zusammentreffen war in Emeris während einer der Orgien De Pages gewesen, und als sie sich das zweite Mal sahen, hatte sich Laerte wie die Landschaft gefühlt, durch die die Kutsche gerade fuhr: neblig und verloren.
Aufmerksam beobachtete er den Herzog und lauschte jedem seiner Worte in der Hoffnung, zumindest eine gewisse Sicherheit darin zu finden. De Page war ein Intrigant, und obwohl er Laerte das Leben gerettet hatte, erschien diesem gesunder Argwohn sicherer als blindes Vertrauen. Auf keinen Fall glaubte er an die Freundschaft des Herzogs.
»Weißt du, wer das geschrieben hat?«, fragte De Page, ohne den Blick von den Nebelschwaden zu wenden.
Laerte schüttelte den Kopf. Vermutlich hatte der Herzog damit gerechnet, denn er fuhr fort, ohne Laerte auch nur anzusehen.
»Dein Vater«, sagte er.
Plötzlich drang ein unangenehmer Geruch nach verbranntem Gras in die Kutsche und zwang De Page, sich vom Fenster wegzudrehen. Ein Heuhaufen, der in hellen Flammen stand, wurde
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