Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
von Bauern mit Heugabeln bearbeitet. Der Herzog hielt sich kurz die Nase zu, ließ sich seufzend in die Polster sinken und blickte Laerte an.
»Ich habe seine Schriften gelesen. Mir wurde diese Chance zuteil, obwohl die Fangol-Mönche es verboten hatten.«
Laerte nickte. Plötzlich war sein Herz schwer geworden. Er hatte noch nie etwas von Oratio lesen dürfen.
»Weißt du, was er mit diesem Satz meinte?«, fragte De Page weiter.
Laerte verneinte.
»Dass einzig die Würde uns auf eine Stufe mit den Menschen stellt, die über Entscheidungsgewalt verfügen. Ich habe sehr arme Leute gesehen, die weit mehr Würde besaßen als irgendwelche ungehobelten und feigen Barone. Ich habe Bäuerinnen erlebt, die stolz den Steuereintreibern entgegentraten und ihre magere Ernte verteidigten. Ich habe Nâagas kennengelernt, die auch als Leibeigene den Kopf hoch trugen, und ich habe …«
Mitten im Satz brach er ab.
»Man kämpft nicht mit dem Schwert, Laerte.«
Erneut warf er einen Blick aus dem Fenster.
»Wir sind fast da.«
Die Kutsche wurde langsamer und hielt schließlich an. Die Pferde schüttelten sich.
Sie hatten sich in der Grafschaft Garm Sala getroffen und waren von dort aus gut zwei Stunden unterwegs gewesen.
Neun Jahre war es mittlerweile her, dass Laerte De Pages Villa verlassen hatte. Im Anschluss war er durch die Reste des zerbrochenen Kaiserreichs und die Anfänge einer jungen Republik geirrt, die den Menschen von Tag zu Tag mehr Hoffnung schenkte. Das alles hatte er zwar nur von fern verfolgt, war jedoch niemals das Gefühl losgeworden, sich mitten im Herzen von Emeris zu befinden. Er wurde zum Schatten der Azdekis. De Page hatte das Seine dazu beigetragen.
Während der gesamten Zeit hatten De Page und Laerte den Kontakt aufrechterhalten. Aladzios treueste Freundin überbrachte Nachrichten vom einen zum anderen. Es waren neun Jahre der Reise, der Abschiede und des Wiedersehens gewesen. Vom Vershan bis in den Westen und vom Norden bis nach Masalia hatte Laerte nach Esyld gesucht. Wenn die Verzweiflung ihn übermannte, suchte er Zuflucht in De Pages Villa, wo er die Gesellschaft Rogants und manchmal auch die von Aladzio genoss. Auch der Erfinder kam und ging, je nach den Befehlen Azdekis. Er hatte die Aufgabe, die Fangol-Klöster nach dem Schlüssel zum Heiligen Buch zu durchsuchen. Die lange Zeit hätte sie einander entfremden und entmutigen können. Doch auch elf lange Jahre nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs blieb Laertes Entschlossenheit ungebrochen. Als Ratsherr De Page ihm schließlich mitteilte, dass es an der Zeit sei, ihre Angelegenheiten zu regeln, war er der Einladung schnell gefolgt.
Aladzios Freundin empfing sie mit einem durchdringenden Schrei. Laerte stieg aus der Kutsche und geriet mit dem Fuß in tiefen Schlamm. Die Freundin kreiste im dichten Nebel um einen Turm und schrie erneut. Die Götter allein mochten wissen, wie es ihr immer wieder gelang, Laerte in den Trümmern des Kaiserreichs wiederzufinden, doch in regelmäßigen Abständen sah er sie am Himmel auftauchen und musste nur den Arm ausstrecken, damit sie sich auf seine Hand setzte und eine Kapsel mit einem Brief übergab.
»Lass dich nicht vom äußeren Eindruck des Gebäudes leiten«, riet ihm der Herzog lächelnd. »Seine wahre Schönheit liegt im Innern.«
Er zeigte auf eine schwere Holztür, in der einige Bretter fehlten. Drinnen brannten Fackeln. Der Turm stand auf der Kuppe eines Hügels, und die Erde war so feucht, dass kaum Gras wuchs. Zäher Schlamm blieb an Laertes Stiefeln haften. Er ging einen Schritt vorwärts, blieb aber sofort wieder stehen. Diesen Turm hatte er schon einmal gesehen, dessen war er ganz sicher. Auch wenn jetzt einige Steine fehlten und an der Spitze verfaulte Balken sichtbar waren.
»Fangol«, sagte De Page, der Laertes Überraschung richtig deutete. »Es ist ein Fangol-Kloster. Eines der ersten. Sie sind alle nach dem gleichen Muster gebaut und ahmen den ursprünglichen Fangol-Turm nach, in kleinerem Maßstab.«
Natürlich. Im Liaber Moralis wurde der Stammsitz der Fangol-Mönche als riesengroß beschrieben – ein Bauwerk, das einen Berg beherrschte und nach dem Himmel griff. An manchen Tagen, so berichtete die Legende, durchdrang die Turmspitze die Wolken. Seltsam, dass dieser Nachbau hier vor seinen Augen von Nebelschwaden umhüllt wurde.
De Page öffnete die Tür und trat als Erster ein. Sofort streifte er die Handschuhe ab und schlug sie gegeneinander. Auf den Steinen lag eine dicke
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