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Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)

Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)

Titel: Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine Rouaud
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aus den Salinen hatte er im Westen Städte gesehen, die doppelt so groß waren wie seine Geburtsstadt Guet d’Aëd. Etwas anderes kannte er nicht.
    Doch das, was hier vor ihm lag, überstieg zweifellos seine kühnsten Vorstellungen. Wasserfälle tosten zu Füßen der Hauptstadt. Ganze Vogelschwärme folgten dem Flusslauf mit weiten Schwingen, ehe sie ins Wasser eintauchten. Und wenn sie wieder auftauchten, drehten sie ihre Kreise über einem enormen Wald, der sich kilometerweit bis zu den Bergen erstreckte.
    »Nun?«, grinste Dun. »Hast du dir vor Schreck auf die Zunge gebissen? Oder rechnest du noch, wie oft Guet d’Aëd in diese Stadt hineinpassen könnte?«
    Lachend trieb er sein Pferd an, das fröhlich den Pfad hinuntertrabte. Als Grenouille endlich den Blick von Emeris losreißen konnte, hatte sein Lehrmeister bereits den halben Abhang hinter sich. Hastig ritt der Junge hinter ihm her.
    »Das ist ja … sie ist gewaltig!«, stammelte er, als er Dun schließlich erreichte.
    »Es gibt noch ein anderes Wort, um sie zu beschreiben«, antwortete der.
    Er erinnerte sich an das erste Mal, als er die Brücke über die Stromschnellen überquert hatte. Nie würde er das Schwindelgefühl vergessen, das ihn gepackt hatte, als er den großen Torbogen der weißen Stadtmauer durchschritt. Damals war er ungefähr so alt gewesen wie Grenouille und hatte das Haus Daermon in den Gebieten des Westens verlassen, um nie mehr zurückzukehren.
    »Was für ein Wort?«, erkundigte sich der Junge.
    »Kaiserlich«, murmelte Dun mit respektvoller Stimme.
    O ja, er verstand, was der Junge empfand. Er selbst hatte die Stadt unter ähnlichen Umständen kennengelernt. Sein Onkel hatte ihn auf die Militärakademie geschickt und ihm so seinen Wunsch erfüllt, den Westen zu verlassen. Genau wie Grenouille war er vor einem Leben davongelaufen, das ihm nicht behagte – dem eines ruhmlosen Schlossherrn, eines Herrschers über ein kleines Reich mit wenig ehrgeizigen Untertanen. Das Haus Daermon war erst unter Duns Großvater geadelt worden und legte eine Bescheidenheit an den Tag, die für den jungen Spross des Hauses schon fast an Willensschwäche grenzte. Je seltener man über das Haus Daermon sprach, desto weniger Ungemach drohte vonseiten des Kaiserhauses. Doch schon als Kind hatte Dun-Cadal vom Ruhm geträumt, und als die Zeit kam, in der er dem Kaiserreich auf würdige Weise dienen konnte, setzte er alles daran, dass sein Onkel ihn auf die richtige Schule schickte. Damit eröffnete er sich einen ihm gemäßen Weg, den er zielstrebig verfolgte. Mit der Unterwürfigkeit seiner Familienmitglieder wollte er nichts zu tun haben. Sein wahres Leben hatte in Emeris begonnen, jener Stadt, die als Symbol für Erfolg und Ruhm stand. Hier wurde das Schicksal der Welt entschieden. Hier befanden sich Kopf und Herz eines unsterblichen Kaiserreichs.
    Langsam ritten sie durch die schlammigen Straßen der Armenviertel am Rand der Stadt, wo sich kleine Häuser mit Strohdächern drängten. Als die Hufe der Pferde schließlich über Kopfsteinpflaster klapperten, wurden die Häuser höher und stolzer und hatten größere Fenster. Grenouille sah sich mit großen Augen um. Zwar sagte er nichts, doch seine Haltung sprach Bände.
    Als sie den Palast erreichten, schien seine Unbekümmertheit plötzlich zu schwinden. Beim Betreten der weiten, hellen Säle und angesichts der ehrfürchtigen Begrüßung durch die anwesenden Generäle erstarrte er. Sein Blick wurde unstet und huschte herum, als suchte er nach jemandem. Dun stellte ihn nur kurz vor, um unnötige Fragen zu vermeiden.
    Die Heldentaten des Generals in den Salinen hatten viel Staub aufgewirbelt. Die Ritterschaft zeigte sich teils stolz, teils eifersüchtig, und in der gesamten Stadt kursierte das Gerücht, Dun-Cadal habe die Armee der Aufständischen ganz allein geschlagen.
    Auch wenn er sich möglichst wenig anmerken ließ, hielt Dun ein wachsames Auge auf seinen Zögling. Wichtig war ihm dabei weniger das Benehmen des Jungen als vielmehr seine Gefühle. Was empfand er, wenn er all diese Hände schüttelte? Wenn er diesen vielen Menschen begegnete? Wenn er durch Flure ging, die ihm unvorstellbar breit vorkommen mussten?
    Vielleicht ein Schwindelgefühl?
    Auf ein Kind vom Land mussten die vielen Krieger in ihren bunten Rüstungen mit den Wappen ihrer Häuser einschüchternd wirken. Allein die Hallen der Ritter, wo ehrwürdige Wappen und ruhmreiche Waffen an den Wänden hingen, waren berauschend. Hier hatten

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