Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
vor.
Duns Herzschlag verlangsamte sich, sein Blick wurde klarer. Ihm war, als befinde er sich überall gleichzeitig. Er ahnte jede Bewegung voraus, hörte den Atem jedes Soldaten und spürte das Blut, das aus ihren Wunden strömte. Er war bereit.
Es ist keine Legende. Ich war dabei. Und ich bin geflohen wie alle anderen.
Dun kniete nieder und versetzte dem Boden einen heftigen Schlag mit dem Schwertknauf. Ein mächtiger Luftzug kam auf, wie die Wellen, die sich nach einem Steinwurf in einem Teich ausbreiten. Die Angreifer wurden viele Meter zurückkatapultiert. Abgeschossene Pfeile kehrten sich gegen die Bogenschützen, Flammen flackerten auf, Zelte schwankten. Die Katapulte kippten um.
Er allein hat mehr Schaden verursacht als der Sturm auf Guet d’Aëd mit zehntausend Soldaten. Wir haben gelernt, ihn zu fürchten. Er ist mehr als nur ein General.
Stöhnende Soldaten wanden sich im Gras. Weil einige nur betäubt waren, nahm Dun noch einmal alle Kräfte zusammen, um so schnell wie möglich die Pferdekoppel zu erreichen.
Er war der Held der Salinen. Diesen Namen werden wir nie vergessen …
Dun sprang auf ein Pferd und stürmte im Galopp davon. Hinter ihm blieben eine Flammenhölle und viele verletzte Soldaten zurück. Als schließlich Hilfe herbeieilte, stotterten die Verwundeten mit zitternden Händen und blassen Wangen nur einen Namen.
Dun-Cadal Daermon.
6
DER SOHN
Es ist ein Hohn –
Den Tod konnte ich geben,
doch niemals das Leben.
W isst Ihr – Worte sind wie um ein Paket geknüpfte Knoten.«
Seine faltigen Hände umspannten den frisch gefüllten Weinbecher, und sein Blick verlor sich in der blutroten Flüssigkeit, als könnte er darin seine Erinnerungen ertränken. Erinnerungen an Menschen, die er gehasst und geliebt, verabscheut und gefördert hatte.
»Man sagt und erzählt viel, doch die Worte sind weit von der Wahrheit entfernt.«
Viola zog einen Stuhl heran und setzte sich. Es war ganz leicht gewesen, ihn wiederzufinden. Nachdem Dun-Cadal hinter dem Assassinen hergejagt war, kehrte er zitternd an jene Stätte zurück, wo sie bereits am Abend zuvor miteinander geredet hatten. Nur hier fand er das Mittel, mit dem er seine Schmerzen betäuben oder zumindest vorübergehend beruhigen konnte – auch die seelischen. Er saß bereits vor seinem zweiten Krug Wein. Abgesehen von der jungen Frau und ihm hielt sich nur noch ein alter Mann in der Gaststube auf. Er legte Tarot-Karten vor dem großen Fenster.
»Worte verschleiern.«
Er hob den Blick und begegnete Violas heiteren grünen Augen. Sein Gesicht wurde weich. Sie war so ruhig, sanft und hübsch mit den vielen Sommersprossen auf ihren Wangen! Über ihre rosigen Lippen drang kein einziges Wort. Sie hörte ihm einfach nur zu. Ihm, dem Relikt aus einer glorreichen Zeit, das heute so unnütz geworden war wie ein stumpfes Schwert.
»Man erzählt sich«, sagte er mit einem verlegenen Lächeln, »dass ich nicht weniger als dreihundert Mann gegenüberstand, bevor ich aus den Salinen flüchtete.«
Er senkte den Kopf und nickte.
»Aber ich habe sie gezählt. Ich konnte schon immer sehr schnell zählen.«
Seine Stimme war so leise, als rede er mit sich selbst.
»Es waren fünfzehn. Fünfzehn Jungen. Kaum zwanzig Jahre alt und ohne jede Kampferfahrung. Fünfzehn Jungen, von denen zwei ein Stück zurückblieben, um mich mit Pfeilen zu beschießen.«
Erneut traf sein Blick auf Violas ruhige Augen.
»Und so bin ich zur Legende geworden, ohne eine einzige Schlacht zu gewinnen. Einfach nur, indem ich ihnen eine Heidenangst eingejagt habe. Aber die Geschichte wurde von Mund zu Mund und von Dorf zu Dorf weitergegeben, wie ein Schneeball, der nach und nach zur Lawine wird. Und mit einem Mal bekommt eine Nichtigkeit eine ungeheure Bedeutung.«
Er schwieg und griff nach dem Becher. Als der Rand seine Lippen berührte, verzog er das Gesicht.
»Da habt Ihr Eure historische Persönlichkeit, Viola Namenlos aus der republikanischen Stadt Emeris.«
Er leerte den Becher in einem Zug und setzte ihn ab. Plötzlich überkam ihn ein Gefühl, als würde alles in ihm zusammenbrechen. Sein Körper jedoch war so vertrocknet, dass er sein Schicksal nicht einmal mehr beweinen konnte.
Lehrt mich mehr. Ich bin noch nicht bereit.
Duns Gedanken verloren sich in einer zerstückelten, zerrissenen Vergangenheit, die noch immer blutete.
»Ein Ratsherr ist am helllichten Tag getötet worden«, sagte Viola schließlich. »In Masalia herrscht Panik. Ein Vertreter der Republik
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