Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Gesellschaftsordnung herzustellen?
»Wir müssen uns sputen«, sagte Viola.
Sie ging weiter. Die Kapuze ihres Umhangs wippte auf ihren Schultern. Auf Straßen und Plätzen herrschte ein Durcheinander, das während des Kaiserreichs nie toleriert worden wäre. Reiche und Arme streiften sich im Vorübergehen, Nâagas wurden als selbstverständlich erachtet, Damen in hübschen Kleidern reichten jungen, gut frisierten Bürgern die Hände. Auch wenn man nur wenig miteinander redete – die Gelegenheit dazu war vorhanden. Die alte Ordnung war einem namenlosen Chaos gewichen, das sich in einem Gewirr fremder Sprachen und unterschiedlichster Gerüche verlor. Und in diesen weichen Schlamm wollte die Republik ihre Grundmauern legen? Lieber als auf den festen und harten Zement des Kaiserreichs?
»Das also ist Eure Republik«, stellte Dun mit ekelverzerrtem Mund fest.
Diese bunte Mischung, diese Verachtung der Fangol-Mönche, dieses Vergessen … Deshalb hatte er so lange die Augen verschlossen. Diese Welt war wahrlich nicht mehr seine.
»Wir sind da«, verkündete Viola, ohne auf seinen Vorwurf einzugehen.
Sie waren auf einem großen, von imposanten Gebäuden umstandenen Platz angekommen. Ein Giebel war mit Wolfsköpfen geschmückt, sie zeigten weit geöffnete Fänge. Das Bauwerk zeigte den üblichen Prunk aus der Zeit der Cagliere-Könige, die sich gern als Meute jagender Raubtiere darstellen ließen. Dreihundert Jahre lang, bis kurz vor Beginn der Dynastie der Reyes, hatten sie eine Eroberungspolitik verfolgt und ein Königreich nach dem anderen bis hin zu den fernen Südinseln in ihren Besitz gebracht. Sie hatten den Grundstein für das Kaiserreich gelegt, bis sich einer von ihnen eines Tages zum Kaiser krönen ließ. Er war der einzige Cagliere, der diesen Titel je trug. Der letzte Wolf starb einsam.
Eine breite Treppe führte hinauf zum Eingangstor, das von vier wortkargen Hellebardieren bewacht wurde. Ohne abzuwarten, eilte Dun der jungen Frau voraus.
»Wartet«, rief sie ihm nach.
Trotz seiner Müdigkeit wirkte Duns Schritt jetzt entschlossener. Sein Kopfschmerz hatte nachgelassen. Abrupt blieb er stehen und blickte sich um.
»Ihr wollte doch, dass ich Negus aufsuche, nicht wahr?«
»Man wird Euch nicht einlassen«, keuchte sie und rannte hinter ihm her.
Wahrscheinlich hatte sie recht. Negus war einmal sein Freund gewesen – aber war er es auch heute noch? Immerhin diente er jetzt denen, die sie einst gemeinsam bekämpft hatten. Als er das Tor erreichte, senkten sich die Hellebarden vor ihm.
»Wir bitten um eine Audienz beim Ratsherrn Negus«, erklärte Viola mit unmerklich bebender Stimme.
»Besucher werden nicht empfangen«, entgegnete einer der Wachleute.
Seit dem Mord waren ihre Befehle eindeutig. Vor der großen Nacht der Masken durfte sich niemand den Ratsherrn nähern. Viola stellte sich mit erhobenen Händen zwischen die Wachen und Dun.
»Bitte entschuldigt meinen Freund, dass er hier so unvermittelt auftauchte, aber …«
»Sagt Negus, dass ein alter Freund ihn sehen möchte«, unterbrach Dun. »Kündigt ihm den Mann an, den er in den Salinen für tot hielt.«
Angesichts der skeptisch dreinblickenden Wachsoldaten setzte er hinzu: »Keine Sorge, er wird es verstehen.«
Nach kurzem Zögern ging einer der Gardisten ins Haus. Gut zehn Minuten später kehrte er zurück, ließ sie wortlos eintreten und begleitete sie in eine weite Halle mit großen, rot und golden eingefärbten Fenstern. Sonnenstrahlen woben seltsame Muster auf dem goldbraunen Boden. Zwei Säulenreihen standen Spalier bis hin zu zwei Treppen, die eine breite Eichentür einrahmten.
»Wartet hier«, befahl der Soldat und zeigte auf eine Reihe von Bänken unterhalb der Fenster. »Ratsherr Negus wird Euch in wenigen Minuten empfangen.«
Vier Soldaten marschierten im Gleichschritt die beiden Treppen hinunter und nahmen rechts und links von der Tür Aufstellung. Ihre Hände lagen auf dem Schwertgriff. So viele Sicherheitsvorkehrungen nur ihretwegen? Wegen eines alten Mannes mit müden Augen und einer zierlichen jungen Frau, deren Blick hinter runden Brillengläsern leuchtete? Viola ließ sich gemächlich auf einer der Bänke nieder, Dun allerdings erkannte sofort, dass ihre Ruhe nur vorgetäuscht war. Immer wieder öffnete und schloss sie die Fäuste. Er trat zu ihr und lehnte sich mit verschränkten Armen an eine der Säulen.
»Wie geht es Eurem Kopf?«, erkundigte sich Viola.
»Schon besser«, gab er zurück und blickte aus dem
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