Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
seinem Gehirn schien ein Amboss herumzupoltern, der bei jeder Bewegung heftig gegen seine Schläfen prallte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete er sich auf. Mildrel. Er war wieder bei Mildrel. Allmählich kehrte die Erinnerung an den Abend zurück. Er hielt sich den Kopf und fluchte darüber, dass er überhaupt noch lebte. Wie gern wäre er einfach nicht mehr aufgewacht! Er wollte nur noch vergessen. Nicht einmal mehr Schatten sein. Nur ein Nichts.
»Ihr versteht nicht. Es ist wichtig.«
Die Stimme klang jung und entschlossen.
»Ihr seid hier nicht willkommen. Ihr stochert für meinen Geschmack zu viel in der Vergangenheit der Menschen herum.«
Es war unverkennbar Mildrel. Die beiden Stimmen stritten sich vor der geschlossenen Tür seines Zimmers. Durch die zugezogenen Vorhänge stahl sich ein Sonnenstrahl und wanderte quer durch den Raum. Im Nebenzimmer debattierten Viola und Mildrel. Die beiden Frauen hätten unterschiedlicher nicht sein können: Auf der einen Seite die Kurtisane, die sich Stufe um Stufe in die höhere Gesellschaft emporgekämpft hatte, indem sie Männer verführte – auf der anderen die junge, studierte Republikanerin.
»Lasst ihn in Frieden!«
Es klang nicht wie ein Befehl, sondern eher wie eine flehentliche Bitte. Seufzend ließ sich Mildrel in einen Sessel fallen, dessen vergoldete Armlehnen mit der Zeit matt geworden waren.
»Ihr wollt Eraëd finden, nicht wahr?«
»Aus diesem Grund habe ich Dun-Cadal aufgesucht, das ist richtig«, antwortete Viola. »Er ist mit diesem Schwert aus Emeris geflohen – einem Schwert, das zur Geschichte unserer Welt gehört, werte Dame.«
Viola war mit verschränkten Händen an der Tür zum kleinen Salon stehen geblieben und wirkte trotz aller Entschlossenheit mit einem Mal wie ein kleines Mädchen.
»Die Waffe wurde eigens für die Könige geschmiedet. Man sagt, dass sie Zauberkräfte besitzt, dass man mit ihr den härtesten Stein zerschneiden und die Haut der größten Drachen durchbohren kann.«
Sie schwieg einen Moment und strich sich eine vorwitzige rote Locke aus dem Gesicht. Die Augen hinter den runden Brillengläsern wirkten verträumt.
»Aber das Schwert ist heute nicht der einzige Grund für mein Erscheinen hier, werte Dame.«
»Dun-Cadal hat nichts mit dem Mord an dem Ratsherrn zu tun«, beeilte sich Mildrel zu versichern, weil sie eine Anschuldigung fürchtete.
Viola nickte. »Das weiß ich. Ich war bei ihm, als der Mord geschah. Aber er kennt den Mörder.«
Falls Mildrel überrascht war, ließ sie es sich nicht anmerken, denn sie hatte gelernt, ihre Gefühle zu verbergen. Als Kurtisane musste sie eine gute Schauspielerin sein, um Männern gewisse Geheimnisse zu entlocken und dennoch vorzugeben, sie wisse nichts davon.
»Ich bin mir ganz sicher. Er sprach von der Hand des Kaisers .«
Mildrel schlug die Augen nieder. Die Sonne strahlte durch das Fenster hinter ihr und vergoldete ihre nackten Schultern. Über ihrem Nacken kringelten sich ein paar weiche Locken. Als Viola sie zum ersten Mal gesehen hatte, war es dunkel gewesen. An diesem Morgen jedoch konnte sie die Frau genau beobachten und verstand sofort den Ruf, der ihrer Schönheit vorauseilte. Die Zeit war nachsichtig mit ihr umgegangen. Viola hatte damit gerechnet, dass Mildrel ihr den Zugang zu Dun verwehren würde, und sich darauf vorbereitet.
»Ihr scheint zu glauben, dass Euch alles gestattet ist, nur weil wir Kaiser Reyes treu gedient haben, nicht wahr?« Mildrels Stimme klang schneidend. »Ihr kommt daher mit Eurem Studium, Eurer Geschichte und Eurer runden Brille und wühlt mit jugendlichem Leichtsinn in der Vergangenheit eines Menschen herum. Ihr stoßt ein Messer in kaum verheilte Wunden, um an Euer Ziel zu gelangen. Eure Republik scheint Euch jede Freiheit zu lassen, über andere zu richten. Aber das ist dann wohl auch die einzige Freiheit!«
Mit nervöser Hand strich sie über ihr Kleid und stand auf.
»Ich bitte Euch jetzt zum letzten Mal, mein Haus zu verlassen. In früheren Zeiten trafen sich hier die Edelleute von Masalia. Einige von ihnen schulden mir noch einen Gefallen und würden sich gewiss nicht zweimal bitten lassen, sich mit Euch zu befassen. Natürlich in vollstem Respekt für die Republik, die Ihr so schätzt.«
Eine kaum verschleierte Drohung. Viola spürte, wie sie feuchte Hände bekam. Schmerzen machten ihr Angst. Dabei wollte sie doch nichts weiter, als Dun dazu bringen, ihr den Weg zu Eraëd zu weisen.
»Aber es geht um Leben und Tod, werte
Weitere Kostenlose Bücher