Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Grenouille richtete, wirkte fast schon wie eine Abrechnung.
Dun seufzte.
Die Statue des Gottes an der Säule hinter ihm gab ihm weder Trost noch Antwort. Gleichgültig blickten seine steinernen Augen über das unbedeutende Wesen zu seinen Füßen hinweg.
Niemand hat das Recht, sie beim Namen zu nennen.
Sie sind überall und für jeden da.
Sie sind hier, und sie sind jetzt.
Sie waren vor uns, und sie werden nach uns sein.
Ein einziges Mal hatte Logrid während seiner Lehrzeit nach den Göttern gefragt, doch nie wäre sein Lehrmeister davon ausgegangen, dass sich die Zweifel seines Schülers im Laufe der Zeit verfestigen würden.
»Wer sind sie überhaupt? Ist das, was ich entscheide, wirklich schon längst niedergeschrieben? Wieso haben sie das Recht, uns ein irgendein Schicksal zuzumuten? Sind wir nur Spielzeuge für sie?«
Dun war nur eine Antwort darauf eingefallen.
»Sie sind die Götter. Sie spielen nicht mit uns, sondern machen Geschichten, Berichte und Sagen aus unserem Leben. Ihr Ziel ist es, der Menschheit auf den höchsten Gipfel zu helfen. Sie kennen den Anbeginn und das Ende aller Zeiten. Wir müssen uns bei ihnen bedanken, dass sie uns das Leben und ein Schicksal schenken, dessen Sinn nur sie kennen.«
Und auch jetzt, unter dieser Statue, deren Blick er vergeblich zu begegnen versuchte, erschien es Dun unvorstellbar, eine andere Antwort in Erwägung zu ziehen.
11
DER ZUSAMMENBRUCH DES KAISERREICHS
Wie vieler Jahre bedarf es, ein Reich zu gründen?
Und wie vieler Sekunden, es zu zerstören …
M it dem Handrücken wischte er sich den Staub vom Gesicht. Die Zelle starrte vor Schmutz. Durch eine mit verdreckten Eisenstangen versehene Luke sah er ab und zu ein Paar Stiefel vorübereilen. Bei jedem Schritt wurden kleine, trockene Erdbrocken in die Zelle geschleudert und landeten auf dem Kopf des Häftlings. Er lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf einer Holzpritsche und sah zu, wie das Tageslicht abnahm. Schon seit Stunden wartete er geduldig darauf, dass man ihn endlich verhörte. Immer wieder dachte er darüber nach, was vorgefallen war, und versuchte, die Entwicklung der Ereignisse zu begreifen oder wenigstens einen Sinn dahinter zu finden – irgendetwas, das ihn beruhigen konnte.
Als er Negus damals in Kapernevic verließ, hatte sein Freund noch in Diensten des Kaisers gestanden. Jetzt arbeitete er für die Sieger. Vermutlich würde Dun die Gründe für diese Sinnesänderung nie verstehen. Dennoch sah er nicht die geringste Veranlassung, dem Freund nach dem Leben zu trachten, sondern hatte ihn ganz im Gegenteil warnen wollen. Allerdings war nicht zu leugnen, dass alle Indizien gegen ihn sprachen – er verkörperte den idealen Attentäter.
Immer wieder setzte Dun die Einzelheiten des Ablaufs neu zusammen wie bei einem Puzzle. Passte überhaupt irgendetwas zusammen? Noch immer konnte er sich keinen Reim auf das Geschehen machen.
Als die Klappe in der Eisentür zurückgeschoben wurde, schaute er gar nicht hin. In der Öffnung erschien ein Auge. Jemand lachte.
»Heda, General!«, rief eine näselnde Stimme. »Wie ist es da drin?«
Zwar kannte Dun nur die Stimme seines Kerkermeisters, doch die genügte, um sich ein Bild von ihm zu machen. Er stellte ihn sich mager und schmutzig vor, vielleicht unzufrieden, weil er nur ein einfacher Wärter war. Außerdem hielt er ihn – und das zählte mehr als alles andere – für ziemlich dumm. Bestimmt wurde er draußen von oben herab behandelt, wofür er sich hier drinnen rächte, indem er die Häftlinge durch die dicke Eisentür hindurch beleidigte.
»Man erzählt sich, dass du mal einer von den ganz Großen warst. Der General der Generäle. Davon ist ja nicht gerade viel übrig geblieben«, gluckste der Mann. »Ein paar von euch haben sich ergeben. Zu denen waren wir nett. Aber die anderen, die sich nicht ergeben wollten – weißt du, was wir mit denen gemacht haben?«
Dun musste unwillkürlich lächeln. Ohne den Blick von der Öffnung zu wenden, murmelte er: »Ja. Ratsherrn.«
»Sie wurden gehenkt«, sagte der Wärter, als hätte er nichts gehört. »Aber mit dir altem Haudegen haben sie sicher noch mehr vor. Du hast dich im Krieg ja vermutlich ziemlich hervorgetan.« Plötzlich änderte sich sein Ton. »Genieß es«, fuhr er verächtlich fort. »General oder nicht – wenn du erst am Seil baumelst, bist du ein genauso armer Schlucker wie alle anderen auch.«
Scheppernd schloss der Wärter die Luke. Dun hörte, wie er immer noch
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