Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Kirchenschiff. Die beiden Männer bekämpften sich unter den starren Blicken der Götterstatuen. Plötzlich änderte sich ihr Atemrhythmus. Die Zeit schien sich aufzulösen, ihre Bewegungen verlangsamten sich. Und dann hoben beide gleichzeitig ihre freie Hand.
Die beiden Odems trafen mit solcher Macht aufeinander, dass sie zeitweise nichts mehr sehen konnten. Trotz der Wucht des Aufpralls blieben beide auf den Füßen. Atemlos hielten sie inne.
»Ihr dürft nicht länger die Augen verschließen, Dun-Cadal«, sagte Logrid schließlich.
»Und wovor? Wovor, Logrid?«
»Vor der Verbindung des Grafen von Uster mit der Familie Reyes. Vor den Aufwendungen, zu denen er verpflichtet ist. Und vor den Gründen für den Aufstand.«
Feindselig maßen sie einander mit Blicken. Schließlich wichen beide langsam einen Schritt zurück. Ihre lang gehegte Wut war durch ein Wort wie durch einen Funken entzündet worden und hatte den längst überfälligen Zweikampf provoziert. Der Stolz des Lehrers war auf den Ehrgeiz des Schülers geprallt. Nein, sie hatten sich niemals wirklich verstanden.
»Der Graf von Uster hat Verbündete hier in Emeris, Dun-Cadal«, fuhr der Assassine fort. »Sie agieren im Untergrund gegen uns. Also haltet die Augen offen!«
»Ich halte die Augen immer offen«, entgegnete Dun. »Und das, was ich hier vor mir sehe, gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Es geht um die Salinen. Ihr habt die Salinen in die Nähe des Kaisers gebracht. Vergesst Euren Zögling. Er wird niemals stark genug sein, um den Kaiser vor seinen wahren Feinden zu schützen.«
»Aus dir spricht nur Eifersucht«, wiederholte Dun streng. »Ich habe dich erwählt. Ich habe dich aus vielen anderen Kandidaten erwählt, um dich als meinen Nachfolger als Hand des Kaisers auszubilden. Grenouille wird dir diesen Platz niemals streitig machen. Auf ihn warten ganz andere Herausforderungen.«
Wenn er jedoch erwartet hatte, Logrid mit dieser Bemerkung zu besänftigen, so hatte er sich getäuscht. Zwar steckte sein früherer Schüler das Schwert zurück in die Scheide, doch seine Stimme verriet die unbändige Wut, die in ihm brodelte.
»Glaubt Ihr allen Ernstes, ich will Euch Eurem neuen Schüler entfremden, weil ich befürchte, dass er meinen Platz einnimmt?«
»Grenouille ist sehr begabt, das weißt du. Ich verstehe wohl, dass du gekränkt bist, aber …«
»Dun-Cadal!«
Nun klang Logrids Stimme anders, erfüllt von Trauer und Enttäuschung.
»Hier geht es nicht um einen einfachen Aufstand, dessen Ihr mit dem Einsatz von Gewalt Herr werden könnt. Es ist unsere gesamte Welt, die sich verändert. Ich tue mein Bestes, dem Verfall entgegenzuwirken, und zwar wirkungsvoller als jeder andere. Ich töte den Abschaum, der uns bedroht, aber ganz auf mich allein gestellt kann ich nicht viel ausrichten. Der Adel ist bereit, sofort eine Kehrtwendung zu machen, wenn die Aufständischen vor den Toren von Emeris stehen. Einige der hohen Herren arbeiten bereits daran, den Rebellen die Stadt in die Hände zu spielen.«
Die Kluft zwischen ihnen war unüberbrückbar geworden. Sie verstanden einander nicht mehr – falls sie es je getan hatten.
»Ich habe dich gelehrt, für den Kaiser zu töten. Aber nur, um ihn zu verteidigen, nicht um dich damit zu brüsten«, erklärte Dun. »Zu meiner Zeit wurde die Hand des Kaisers von allen Untertanen gefürchtet und respektiert. Aber seit du diese Uniform trägst, hast du alles …«
»… zerstört, was Ihr aufgebaut habt«, beendete Logrid den Satz leise. »Als hätte ich diese Predigt nicht schon wer weiß wie oft gehört. Ich bringe …« Er zögerte, doch schließlich trat er unmittelbar neben den Altar und wies mit seiner behandschuhten Rechten auf den General. »… Euch Respekt entgegen. Ihr habt mich vieles gelehrt. Aber Ihr seid – so bäuerisch! So gewöhnlich. So bodenständig. Ihr seid noch ganz von der alten Garde – das ist es. Euch kommt gar nicht erst in den Sinn, dass ich Euch vielleicht auch etwas beibringen könnte.«
»Bei allen Göttern, Logrid!«
»Hört endlich mit Euren Göttern auf, Dun-Cadal. Warnen sie Euch etwa vor Gefahren? Nun, ich tue es.«
Er trat einen Schritt zurück. Die warme Mittagssonne, die durch das große Rosettenfenster drang, streute ein wenig Licht unter den dunklen Kapuzenschatten. Dun konnte Logrids Mund sehen. Auf der Oberlippe befand sich eine tiefe Narbe, die durch den sprießenden Bart kaum verdeckt wurde.
»Die Stimmen gegen den Kaiser mehren sich. Das Übel, das
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